Gottes Geist weht – lasst uns Segel setzen!
Tag der Ernte
In der jüdischen Tradition wird das Wochenfest – hebräisch: Schawuot – fünfzig Tage nach dem Fest der Ungesäuerten Brote gefeiert. Im Umgang der gebildeten Juden wurde dieses Fest griechisch benannt: hē pentekoste. Es kennzeichnet das Ende der Erntezeit, ist ein Fest des Dankes und zugleich auch ein Anlass zum Pilgern. In der Verkündigung an diesem Festtag wird des Bundesschlusses Gottes mit seinem Volk Israel am Sinaï gedacht. – An diesem jüdischen Erntedankfest feiert nun die Kirche, die Neusammlung des alten Israels, ihren speziellen Erntedank. Sie erfreut sich der Gaben des Heiligen Geistes, sie soll Anteil haben an seinen Früchten und aus der Kraft dieser anderen Ernte entstehen, werden und leben. Denjenigen, die sich durch das Mithineingenommensein in Christi Tod und Auferstehung zu einem neuen Bund versammelt haben, ist der Geist als Beistand verheissen. Im IV. Eucharistischen Hochgebet wird diese Erinnerung faszinierend formuliert: Damit wir nicht mehr uns selber leben, sondern ihm, der für uns gestorben und auferstanden ist, hat er von dir, Vater, als erste Gabe für alle, die glauben, den Heiligen Geist gesandt, der das Werk deines Sohnes auf Erden weiter führt und alle Heiligung vollendet.
Alles mal setzen lassen
Der Weg der fünfzig Tage nach Tod und Auferstehung Jesu beschreibt die Reifung der Ernte. Während der ersten Wochen nach Ostern hörten wir, wie die Menschen sich verwundert die Augen reiben: Sie begegnen dem Auferstandenen und fragen sich, was da läuft. Allmählich schlägt der Auferstehungsglaube Wurzeln. Dann die Fragen: Was hat die junge Gemeinschaft aller Glaubenden denn nun zu tun? Wie soll ihr Leben gehen? – Allmählich bilden sich dann Formen und Wege des Glaubenslebens und der Glaubensverkündigung heraus – es ist ein Tasten und Suchen. Und in diese Suchbewegung hinein erfahren all diejenigen, die sich mit auf den Weg des Glaubens gemacht haben: Ihr geht nicht allein. Es fängt im kleinen Kreis an bei den Aposteln – ihnen verheisst der Auferstandene den Beistand noch selbst – wir hörten es im Evangelium. Beim Erntefest fünfzig Tage nach der Auferstehung Jesu aber wird es gross und vielfältig. Da geht die Gabe Gottes an alle: So verschieden ihr seid – Parther, Meder und Elamíter, und so viele mehr, wie die Lesung sagt: Euch allen ist gemeinsam der Heilige Geist verheissen, der euch Beistand sein will. Und so bekommt diese Suchbewegung der Frühen Kirche eine neue gemeinsame Richtung und sie etabliert sich. Und genau jetzt bekommt sie ein Problem.
Nichts für Nesthocker*innen
Vielleicht kennen Sie das: Gründerväter und Gründermütter sind Enthusiasten und Enthusiastinnen – das gilt in allen Bereichen, wo Neues entsteht. Die nächste Generation aber setzt sich ein wenig ins gemachte Nest – ihr geht sehr oft diese Aufbruchsstimmung des Anfangs ab. Bei der Kirche war und ist das nicht anders. Paulus sagt daher den Korinthern deutlich: Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt, damit sie anderen nützt. Es gibt in der Kirche keinen Moment, wo es ansteht, sich niederzulassen und das Werk als vollendet zu betrachten. Die Gemeinschaft der Glaubenden ist nie fertig. Mit Rückbezug auf den Kirchenvater Augustinus spricht das II. Vatikanische Konzil deswegen auch von der Kirche als wanderndes Volk Gottes. Bis heute.
Fürchtet euch nicht
Immer unterwegs. Immer anders. Immer aufbrechen. Die Vorstellung, dass diese Kirche in ihrer Form und Darstellung nichts ewig Verlässliches bietet, das löst an vielen Stellen immer wieder Unruhe, gerade zu Panik und vor allem heftigste Gegenbewegungen aus. Sogar bei Bischöfen. Das, was war, muss immer bleiben. Dabei stellt man allerdings oft fest, dass das, was für seit ewig geltende Traditionen gehalten wird, meist ziemlich jungen Datums ist: Was sind in unserer Kirche schon fünfhundert Jahre bei einer Geschichte von zwei Jahrtausenden? Da darf man sich dann fragen: Woher kommt eigentlich die Angst, dass unsere Glaubensgemeinschaft sich verliert, wenn sie sich weiterentwickelt? – Wer meint, wenn die Kirche sich bewegt, reflektiert und verändert, dann kommt ihr das Gesicht abhanden, der hat diese Worte des Apostels Paulus an seine Gemeinde in Korinth nicht gehört: Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: Er bewirkt alles in allen. – Seit Gott seinen Bund mit den Menschen geschlossen hat, gilt dieses Wort. Wir dürfen uns darauf verlassen und vorangehen. Sicher nicht blindlings, aber bestimmt mutig und engagiert.
Gottes Geist ist konkret
Das Wirken des Heiligen Geistes ist eben kein leises Lüftchen, sondern ein recht ordentlicher Sturm. Das war schon in der ersten Lesung zu hören. Und im Korintherbrief des Paulus wird es sehr konkret. Paulus, ein frommer Jude, kannte natürlich den Psalm104, in dem es heisst: Sende aus deinen Geist und das Antlitz der Erde wird neu. Und wenn der Völkermissionar Paulus von diesem Geist Neues erwartet, ist das nicht eine fromme Worthülse, sondern sehr ernst. Und vor allem ist das: sehr konkret. Wenn Paulus also an seine Gemeinde in Korinth die Worte schreibt: durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie, dann hat er ein für damalige Zeiten sehr revolutionäres Bild vom Reich Gottes vor Augen. Denn diese Worte heissen nichts anderes als die Aufhebung der damaligen Gesellschaftsordnung. In den christlichen Gemeinden, so des Apostels sehr deutliche Weisung, ist die Frage, ob der und die Getaufte römisches Bürgerrecht oder gar Menschenrecht hat, völlig gleichgültig. In der Taufe werden alle eins in Christus. Und wer an diesen Gott glaubt, dessen Wille all das ist, der braucht sich auch nicht zu fürchten, weil in den Augen Gottes die Vorstellungen der Menschen nicht gelten und alles auf Gottes Weise in der Kraft des Heiligen Geistes gut kommt.
Was macht nun jede und jeder von uns damit? Vielleicht mag ein Wort aus einem nicht-christlichen Kontext uns Christinnen und Christen weiterhelfen: Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen einige Mauern, andere setzen Segel.
Eine ganz ganz ähnliche Predigt, übrigens mit dem gleichen Zitat wie du am Ende, Martin, habe ich schon zu Pfingsten 1988 in Mosbach gehalten! Gruß Rudolf
Uups, – aber ich hoffe, dass sie nicht im Netz zu finden ist, so dass die Gefahr, sie kopiert haben zu können, eher gering ist 🙂
Das Schlusszitat hab ich allerdings auch nicht das erste Mal verwendet…