Zürich: Millionen für messerstechende Muslime?
Völlig fraglos: Der Titel dieses Posts ist in übelster Weise populistisch gleichwie dramatisch falsch. Aber Populismus funktioniert: Sie haben bis hierher gelesen und Sie haben noch nicht weggeklickt. Das ist wunderbar. Dann reden wir mal.
Eine Million Kirchensteuergelder für Muslime?
Worum geht es denn eigentlich? “Reformierte und katholische Kirche wollen für sechs Jahre jährlich je eine Million Franken ihrer vom Kanton geleisteten Staatsbeiträge in diesen Fonds einzahlen, um damit gesamtgesellschaftliche Leistungen der nicht anerkannten Religionsgemeinschaften zu finanzieren.” (zhkath.ch) Das Wichtigste also zu allererst: Die Gelder, über die diskutiert wird, stammen aus den Beiträgen des Kantons Zürich an die Kirchen, nicht aus Kirchensteuererträgen. Und in der Tat: Finanzielle Beiträge würden auch an muslimische Institutionen ergehen – und an andere. Was so gut und richtig ist.
Ein paar Überlegungen dazu – frei von Empörungsrhetorik und Mutmassungen, dafür rational und argumentativ. Ich weiss: nicht jedermanns Sache. Im Angesicht von religiös motivierten Attentaten und Kriegen ist das durchaus auch nachvollziehbar. Emotionen kochen da schnell hoch. Entscheidungsträger und Entscheidungsträgerinnen müssen sich solcher Emotionen, die diese Themen provozieren, bewusst sein und sich aber auch zugleich fragen, was es denn noch braucht bei der Gestaltung von Lösungsansätzen. Die Wut oder die Ressentiments im Bauch sind allein keine guten Ratgeber oder Entscheidungshilfen.
Ein Fonds für interreligiöse Gerechtigkeit
Erinnern wir Katholikinnen und Katholiken uns doch zunächst einmal: Wie sah das vor gut 60 Jahren aus, als wir es waren, die sich im Kanton Zürich in einer ähnlichen Situationen befanden wie heute zahlreiche religiöse Gemeinschaften: staatlich nicht anerkannt. Und da waren es die “Anderen”, namentlich die evangelisch-reformierte Landeskirche, die in einem mühsamen Prozess den Weg zu einer Lösung für die Anerkennung mitbereitet haben, der einerseits die Eigenarten der römisch-katholischen Kirche wahrte und andererseits die Voraussetzungen zur Erfüllung der staatlichen Anforderungen schuf. Herausgekommen ist dann bekanntlich das duale System: die katholische Körperschaft im Kanton Zürich in Verbindung mit der traditionellen Kirchenhierarchie. Es ist nicht immer Liebe, aber die Beziehung funktioniert. Diese Struktur ermöglicht unserer Kirche durch die entstandene materielle Sicherheit ein Leben im Kanton Zürich, das sich wiederum auch gesamtgesellschaftlich positiv auswirkt.
Religiöse Vielfalt ist Fakt
Während aber heute die Kirchen an Bestand verlieren, nehmen andere religiöse Gruppierungen an Bestand und Präsenz in der Öffentlichkeit zu. Diese Religionsgemeinschaften haben Mitglieder, die hierzulande arbeiten und Steuern zahlen, ohne dass ihre oder sonst irgendwelche Beiträge einen Einfluss auf die Alimentierung ihrer religiösen Communities hätten. Das ist nicht gerecht.
Auf der anderen Seite muss den christlichen Kirchen auch ganz grundsätzlich daran gelegen sein, dass Religionsgemeinschaften und damit Religiosität keine gesellschaftliche Randerscheinung sind, sondern ein bedeutender und sichtbarer Teil unseres Lebens. Anders als vor 60 Jahren geht das heute nicht mehr interkonfessionell, sondern einzig interreligiös. Dazu braucht es starke, lebendige und vor allem gut strukturierte und alimentierte Religionsgemeinschaften, denen wiederum die Gesellschaft eines Kantons Zürich genauso am Herzen liegt wie den Kirchen. Das aber passiert nur, wenn die Beziehung zwischen religiöser und säkularer Gesellschaft stimmt, wobei es heute keinesfalls um um eine formale Anerkennung und die Bildung nicht-christlicher Körperschaften gehen kann. Die nicht-anerkannten Religionsgemeinschaften sind in Vereinen organisiert, womit ihnen jene demokratische Struktur gegeben ist, die durch das Schweizer Vereinsrecht eingefordert wird.
Es liegt an uns, den Kirchen
Und hier erhebt sich nun das Problem, die Ausgangslage der diskutierten Sache: Da der Kanton wohl einzelne Projekte fördern, aber nicht Vereine unterstützen kann, bleibt dies die Sache Anderer – es soll zur Sache der anerkannten religiösen Körperschaften werden. Die Stärkung nicht-anerkannter Gemeinschaften zum Wohl der ganzen Gesellschaft des Kantons Zürich ist derzeit eine Aufgabe, die unter den momentanen Bedingungen nur den Kirchen zufallen kann.
Die Frage ist: Wie? In der Tat die Crux der Stunde. Weder Rechtsformen, Vergabekriterien und Gremien mit Entscheidungshoheit sind bekannt. Der Errichtungsprozess für diesen Fonds zur Alimentierung nicht-anerkannter Religionsgemeinschaften befindet sich jetzt – im Frühjahr 2024 – in einer delikaten Situation. Fraglos. Die Antwort auf die Frage, wie es weitergehen soll, aber hängt nicht zuerst ab von Antworten auf Fragen nach Gesetzen, Strukturen und Finanzierungen. Sie sind wichtig, aber der wichtigsten Frage nachgeordnet: Wollen wir eigentlich? Die Antwort auf diese alles entscheidende Frage orientiert sich an der eigenen grundsätzlichen Haltung zum Leben mit konfessionellen und religiösen Gruppen, die nicht die eigenen sind, und dem daraus resultierenden guten oder schlechten Bauchgefühl. Und das zu benennen ist eine Frage der Ehrlichkeit.
Segel oder Mauern?
Erst, wenn wir bereit sind oder werden, die religiöse Vielfalt unserer Gesellschaft anzuerkennen und anzunehmen, können wir hingehen und entsprechend dieser Erkenntnis die Alimentierung nicht-anerkannter Religionsgemeinschaften auf ein tragendes gesetzliches und finanzielles Fundament stellen. Wie das einst vor 60 Jahren Andere mit uns Katholiken gemacht haben.
Wenn Winde der Veränderung wehen, bauen die einen Mauern,
Lao-tse
die anderen setzen Segel.
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