Was schaut ihr zum Himmel – Von der christlichen Hypermetropie

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Zum Fest Christi Himmelfahrt 2023

“Willst du immer weiter schweifen? -”

Dass ich heute eine Brille trage, hat eine längere Geschichte. Vor vielen Jahren fragte mich einmal ein Kollege im Pfarramt, ob ich ein Problem mit dem nahen Computerbildschirm hätte, – er habe schon mehrmals beobachtet, dass ich regelmässig am Bildschirm vorbei zum Fenster hinausschaue. Aufgefallen war mir das noch nicht und so habe ich mich selbst einmal besser beobachtet. Und musste feststellen, dass der Blick am Bildschirm vorbei zum Fenster hinaus tatsächlich die Augen entspannte, mir gut tat. Diagnose: Weitsichtigkeit (medizinisch: Hypermetropie) – willkommen im Club der 40jährigen, sagte damals die Augenärztin zu mir. So erging es mir wie vielen, die jetzt hier zuhören oder diesen Text lesen.

“- Sieh, das Gute liegt so nah” (J.W. Goethe)

Die Jüngerinnen und Jünger, von denen wir in der heutigen Lesung hörten, haben auch so ein Problem mit Weitsichtigkeit – auf ihre ganz eigene Weise. Jesus, auf den sie all ihre Hoffnungen gesetzt haben, ist von der Staatsmacht aus dem Weg geräumt worden – aber das war nicht alles. Auferstanden ist er und vielen von ihnen leibhaft erschienen. Diejenigen, die das erlebt haben, sind noch ganz verzückt – die anderen können es kaum glauben. Und dann das: Vierzig Tage hindurch ist er ihnen erschienen und hat vom Reich Gottes gesprochen. Beim gemeinsamen Mahl gebot er ihnen: Geht nicht weg von Jerusalem, sondern wartet auf die Verheißung des Vaters, die ihr von mir vernommen habt! Und am Ende fährt er vor ihren Augen gen Himmel. Dass die, die da auf Erden zurückbleiben, ihm hinterherschauen wollen, um ihre Augen wie ein Weitsichtiger zu entspannen, ist ja nur zu verständlich. Die beiden Boten Gottes aber gönnen ihnen keine Pause, keine Entspannung: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? – Und sie lassen all die Umstehenden wissen: Der Herr ist wohl zum Himmel aufgefahren, ihr aber seid jetzt seine Zeuginnen und Zeugen und euer Werk beginnt jetzt erst.

Auftrag und Pflichtenheft

Die Ansage ist klar. Es gibt keine Verschnaufspause aber damit eben auch keinen Unterbruch: Gott hat in Jesu Tod und Auferstehung seinen Bund mit den Menschen erneuert und nun muss diese Zusage in der Welt bezeugt und zur Erfahrung aller werden. Im Evangelium hörten wir, wie der Auferstandene während der vielen Begegnungen zu ihnen spricht: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Der Taufbefehl ist der Anfang der nächsten Generation von Kirche, der Anfang von Kirche 2.0, wenn wir den Apostelkreis als ihren Ursprung sehen. Wie dieses nicht einfache Unterfangen genau gelingen kann und auf welche Hilfen die Freunde Jesu vertrauen können, sagt Jesus ihnen auch zu. Der Autor der Apostelgeschichte zitiert ihn: Ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samárien und bis an die Grenzen der Erde. – Davon hören wir dann mehr, wenn wir in ein paar Tagen Pfingsten feiern.

Support kommt

Was aber heisst das nun: Gottes Bund bei den Menschen bezeugen? Die Botschaft Gottes vom Heil hat nicht nur zu allen Zeiten verschiedene Zeuginnen und Zeugen – sie trifft auch zu allen Zeiten unserer Geschichte auf eine immer wieder verschiedene Empfängerschaft. Immer wieder muss also diese Kommunikation dessen, was Gott uns versprochen hat, gut reflektiert und immer wieder neu ausgerichtet werden. Die Jüngerschaft hatte Jesus zu seiner Zeit auf Erden als ihren Herrn und Bruder wohl mit all seinen Worten und Taten erlebt – aber was heisst das jetzt für sie nach der Auferstehung, wie sollen sie denn weitermachen? Die Frage bleibt lebendig bis in unsere Zeit: Wir feiern Christi Gegenwart im Wort vom Heil und im Sakrament des Altares – wie aber hier und heute von ihm Zeugnis ablegen, ihn jenen verkünden, die das Wort hier nicht hören und um diesen Altar nicht versammelt sind?

Einen wichtigen Hinweis eben liefern die beiden Boten Gottes mit ihren Worten: Was schaut ihr da zum Himmel? Und meinen damit: Was zu tun ist, wo ihr handeln und reden sollt, erfahrt ihr, wenn ihr nicht in die Ferne abschweift, sondern euch mit eurer Umgebung, mit eurem ‘Hier und Jetzt’ auseinandersetzt. Und das ist oftmals ein reichlich hartes Geschäft. Als Glaubende im Hier und Jetzt können wir die Botschaft Gottes nur dann glaub-würdig in Wort und Tat verkünden, wenn sie auch mit dem Leben im Hier und Jetzt verlinkt ist. Wer nur über Fernes faselt, entwurzelt Gottes Botschaft vom Heil und macht sie zur Worthülse oder gibt sie dem Aktionismus preis. Diagnose: Christliche Weitsichtigkeit – durch sie geht man vielleicht mancher Diskussion und Auseinandersetzung aus dem Weg und man mag vielleicht so zu einer pastoralen oder spirituellen Entspannung kommen, das Zeugnis aber verliert seine Wirkung. Übrigens: Von der Krankheit der spirituellen oder pastoralen Weitsichtigkeit unbedingt zu unterscheiden ist die kluge Weitsicht. Wer spirituell oder pastoral weitsichtig handelt, der verkündet nachhaltig in dieser Welt Gottes Botschaft vom Heil.

Schöne Theorie? – Harte Praxis!

Der 1967 verstorbene belgische Bischof und Gründer der Christlichen Arbeiterjugend, Joseph Kardinal Cardijn empfahl seinem Verband als Grundlage allen Handelns den Dreischritt Sehen-Urteilen-Handeln. Der hl. Papst Johannes XXIII erhob diese Handlungsgrundlage der CAJ 1961 in seiner Enzyklika Mater et Magistra über die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens zur Lehre der Kirche (MM 236). Sie gilt somit für jede und jeden, der durch Taufe und Firmung in die Nachfolge Christi gerufen ist: für jede Betende hier in der Kirche bis zum Bischof von Rom.

Manchmal scheint in unserer Glaubensgemeinschaft vergessen zu gehen, dass es wirklich drei Schritte sind: Das genaue Hinsehen wird dann übersprungen, das Urteil ist schnell zur Hand und es folgen oftmals merkwürdige Aktionen. Und auch das finden wir in Aussersihl wie in Rom. Nehmen wir doch an diesem Festtag mit, was der hl. Paulus den Menschen zu einer rechten Sichtweise mit auf den Weg gegeben hat. Wir hörten in der Lesung: Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn,der Vater der Herrlichkeit […] erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht.

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