Zwischen Luxus und Einsamkeit – Der Kreuzfahrt-Seelsorger

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Quelle: zdf.de

Datum: 26.12.2019 06:00 Uhr Mancher flüchtet vor Kälte, mancher vor sich selbst: Priester Martin Stewen ist hin und wieder auf Kreuzfahrt. Ein Gespräch über Seelsorge im Luxus-Segment, Einsamkeit – und Greta.

"WISO-Dokumentation - Traumurlaub Kreuzfahrt": Blick auf die Rettungsboote, die an der Seite des Kreuzfahrtschiffes befestigt sind.
In der Seele scheint nicht immer die Sonne – auch nicht auf einem Kreuzfahrtschiff
Quelle: ZDF/Macondo

heute.de: Gratis auf Kreuzfahrt – das klingt verlockend. Wie wird man Bordseelsorger?

Martin Stewen: Als Mitglied der evangelischen Bordseelsorger-Konferenz sind Sie Pfarrerin oder Pfarrer. Bei den Katholiken müssen Sie Priester sein. Idealerweise haben Sie auch Erfahrung in der Seelsorge. Bordseelsorge bedeutet, auf die Menschen zuzugehen und ihnen zuzuhören.

heute.de: Wie viel Arbeit, wie viel Vergnügen haben Sie auf einer Kreuzfahrt?

Stewen: Das ist schon Arbeit. Aber ich finde sie sehr reizvoll. Die Menschen sind im Urlaub offener als zuhause. Sie lassen sich anders auf Gespräche ein. Sie stellen andere Fragen. Aber Urlaub ist manchmal auch von schwierigen Lebenserfahrungen überladen. Dann geht es um Enttäuschungen, Krisen, Verletzungen, Einsamkeit. Alles Thema für die Seelsorge.

heute.de: Und das gute Essen, die touristischen Highlights?

Pfarrer Martin Stewen
Martin Stewen kommt als katholischer Priester viel rum: Er stammt aus Deutschland, ist in der Diözese Chur in der Schweiz tätig und arbeitet zurzeit als Priester in Abu Dhabi. Hin und wieder geht es auf hohe See – als Kreuzfahrt-Seelsorger.
Quelle: Privat

Stewen: (lacht) Davon profitiere ich natürlich auch. Ein Highlight war die Fahrt von Chile über die Osterinseln nach Französisch-Polynesien. Ein einziger Traum – die fremden Orte und Kulturen sind ja das Reizvolle an einer Kreuzfahrt. Als Bordseelsorger kann ich das Angenehme mit dem Nützlichen wunderbar verbinden.

heute.de: Die ZDF-Erfolgssendung “Traumschiff” lebt von menschelnden Geschichten an exotischen Schauplätzen. Hatten Sie auch schon filmreife Momente?

Stewen: Auf dem ZDF-“Traumschiff” war ich noch nicht. Aber auch auf anderen Schiffen gibt es immer wieder filmreife Momente. Ein Witwer hat mir von seiner schweren Erkrankung erzählt, die er überwunden hat. So konnte er wieder auf Reisen gehen. Auf dem Schiff lernte er dann seine zweite Frau kennen. Ich wurde später zur Hochzeit eingeladen. So etwas ist doch “Traumschiff” pur!

heute.de: Im Film gibt’s meistens ein Happy End. Und in der Realität?

Stewen: Nicht immer. Auf dem Schiff arbeiten viele Philippiner. Als wir mal in Manila angelegt haben, waren die meisten glücklich: Sie konnten endlich wieder ihre Familien sehen. Doch einer blieb an Bord und schrubbte das Deck. Er sah sehr traurig aus. Ich habe mich dann um ihn gekümmert und erfahren, dass er zu weit weg wohnte, um seine Familie zu besuchen – obwohl er ein kleines Kind und großes Heimweh hatte.

heute.de: Waren Sie versucht, ihm ein Flugticket zu kaufen – damit er seine Familie doch noch sehen kann?

Stewen: Nein, das können wir nicht. Als Seelsorger habe ich eine klare Rolle. Ich bin da, höre zu, stelle Fragen, helfe Antworten zu finden. Aber ich mische mich nicht in das Leben der Menschen ein.

heute.de: Der Luxus an Bord wird auch durch Philippiner ermöglicht, die für einen niedrigen Lohn arbeiten. Wie gehen Sie mit diesem Spagat um?

Stewen: Der ist sehr, sehr schwer. Für mich als Seelsorger ist wichtig: Ich darf mich nicht vom Luxus blenden lassen. Ich muss auch das wahrnehmen, was hinter den Kulissen abgeht. Ich stehe auch der Bordmannschaft als Seelsorger zur Verfügung.

heute.de: Verderben Greta und die Klima-Debatte die Lust auf Kreuzfahrten?

Stewen: Natürlich sind Kreuzfahrten nicht gut fürs Klima, die Anfragen sind berechtigt. Aber als Kirche müssen wir an den Orten sein, an denen wir gebraucht werden. Und die vielen Gespräche, die wir an Bord führen, zeigen: Wir werden gebraucht! Natürlich darf man das Umweltproblem aber nicht verdrängen.

heute.de: Im ZDF-“Traumschiff” wird der Bordarzt öfter beansprucht. Wie ist das auf Ihren Kreuzfahrten?

Stewen: Ich arbeite eng mit dem Bordarzt zusammen. Ich habe früher in der Krankenhausseelsorge gearbeitet, von daher ist mir das Thema vertraut. Der Bordarzt informiert mich am Anfang einer Reise und sagt, ob wir kritische Fälle an Bord haben. Glücklicherweise ist auf meinen Kreuzfahrten noch niemand gestorben. Aber auch das kann vorkommen. Und dann bin ich als Seelsorger dafür da, die Menschen im Sterben und die Angehörigen in ihrer Trauer zu begleiten.

heute.de: Wer geht an Weihnachten auf eine Kreuzfahrt?

Stewen: Menschen, die sich was gönnen möchten. Menschen, die einsam sind. Menschen, die Angst vor Weihnachten zuhause haben und vor Weihnachten fliehen. Oder die Interesse an der Reiseroute haben, die über Weihnachten angeboten wird.

heute.de: Im ZDF-“Traumschiff” darf das “Captain’s Dinner” nicht fehlen. Werden Sie auch mal zum Tanzen aufgefordert?

Stewen: (lacht) Leider ja! Ich bin ein schrecklicher Tänzer, werde aber dennoch immer wieder auf die Tanzfläche gebeten. Irgendwann versuche ich dann, mich galant zurückzuziehen.

heute.de: Warum machen Sie nicht einfach einen Tanzkurs? Als Kreuzfahrt-Seelsorger wäre das doch gut investiertes Geld.

Stewen: Ich hab’s versucht – hat aber nicht funktioniert.

Das Interview führte Raphael Rauch. Dem Autor auf Twitter folgen: @raphael_rauch

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