“Wer sich selbst erhöht” – Vom Eigenlob mit Scheuklappen
Zum 30. Sonntag im Jahreskreis C
Selbsttäuschung?
Wieder einmal so eine tendenziöse Geschichte aus dem Evangelium. – Oder nicht?
Was hatten Sie für ein Gefühl soeben, als Sie da das Verhalten der beiden Männer in der Synagoge beschrieben bekamen? Wo haben Sie innegehalten? Wo sind Sie zusammengezuckt? Gehen wir doch noch einmal den Weg unseres Wahrnehmens zurück: Haben wir uns nicht doch ein wenig beim Verhalten des Pharisäers aufgehalten und ihn ein gutes Stück als reichlich selbstgefällig abgetan? Und den Sünder als den wahren Einsichtigen und Reumütigen erkannt? – Natürlich, das ist ja so auch die Absicht des Evangelisten: Ja, die Geschichte, die wir hörten, ist tendenziös. Wir sollen abfahren auf das Beispiel des bescheidenen Zöllners und uns ihn als Vorbild nehmen. Und genauso uns stoßen am selbstgefälligen Pharisäer, der sich aller möglichen seiner vielen Leistungen laut rühmt. Wir sollen uns an die Brust schlagen und uns unserer Fehler und Schwächen stets bewusst sein. Das mea culpa in unserem Gesicht stehen haben. Aber ist das wirklich ein realistischer Lebensweg? Einer, den man uns abnehmen würde? Ist das wirklich lebensnah und mehr noch: ist das heilsnotwendig? Sind wir nicht doch manchmal eigentlich in unserem Verhalten viel näher beim Pharisäer? Freuen wir uns nicht allzu oft an dem, was wir haben, was uns gelungen ist, wozu wir fähig sind?
Ein Problem?
Und dann sei gefragt: Ist denn eine solche Freude falsch? Eine Freude über uns selbst ist doch genauso wenig falsch, wie die Annahme, dass Pharisäer und Schriftgelehrte nicht aus ganz anständig und rechtschaffen sein können. Natürlich, oftmals erscheinen sie als die klassischen und perfekten Gegenspieler der Botschaft Jesu: selbstherrlich, unbarmherzig, super strikt. Auf der anderen Seite darf man nicht vergessen: Sie sind religiöse Kaderleute in religiös schwierigen Zeiten. Das römische Imperium hat den jüdischen Lebensraum eingenommen und das Judentum als Staatsreligion verdrängt. In dieser Situation lavieren die Religionsverantwortlichen nun zwischen ihren Interessen und jenen des heidnischen Staates. Nicht ganz einfach. Und jene, die das einigermaßen hinbekommen, ohne sich selbst allzu sehr zu verdrehen oder größeren Schaden anzurichten, leisten für ihre Community viel. Und der Pharisäer, den Jesus als Beispiel nimmt, scheint alles in allem sehr mit sich zufrieden zu sein – vor allem mit Blick auf jene, die nach seiner Ansicht keinen Grund dazu haben. An ihm führt Jesus nun aus, was er meint, wenn er sagt: Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden. Aber: Was ist falsch an diesem Pharisäer?
Die Lücke der Dankbarkeit: Vom Ich zum Wir
Oberflächlich betrachtet – wie schon gesagt: eigentlich wenig. Jesus geht es aber weniger darum, dass der Pharisäer sich gut findet. Jesu Auge ruht auf der exklusiven Art, wie er mit seinem Können und Haben umgeht. Der Pharisäer sieht sich vor allem als gut an in Abgrenzung zu den Anderen um ihn herum: Der eine Gute hier, die anderen Verlierer dort. Das aber geht erfahrungsgemäss nie glatt auf.
Wer erfolgreich in seinem Haben und Schaffen ist, dem gelingt das doch eigentlich sehr selten allein nur durch sich selbst. Wer ehrlich ist und genau hinschaut, wird wohl zumeist zu der Einsicht gelangen, dass alles, was einer hat und ist, immer auch durch andere bedingt ist. Kaum jemandem ist es wohl wirklich gelungen, derjenige geworden zu sein, der man ist, ohne dass viele Andere dazu beigetragen haben; sei es ein tragender familiärer Hintergrund, gute Ausbildungs- und Einkommenschancen und vieles andere. Genauso haben selten jene auf der Schattenseite des Lebens dann auch alles selbst vermasselt. Wer versucht, sich über diese Erkenntnis zu erheben oder drunter zu verbergen, belügt sich selbst. Und ist damit in den Augen Gottes auf dem Holzweg seines Lebens. Jesus nimmt da kein Blatt vor den Mund.
Warum unser Glück vernetzt ist
Er lädt also mit seiner Geschichte ein zu vernetztem Wahrnehmen. Schauen wir auf unser eigenes Leben und fragen wir uns selbst: Wo habe ich meine Fähigkeiten her, wer hat mich während meines Lebens gefördert; als Kind, in meinen Ausbildungen, in meiner beruflichen Entwicklung?
Und dann hörten wir auf der anderen Seite im 2. Timotheusbrief den Verfasser klagen: Bei meiner ersten Verteidigung ist niemand für mich eingetreten; alle haben mich im Stich gelassen. Eine Erfahrung, die auch wohl kaum einem Menschen fremd ist. Fragen wir uns also: Wo hat mir das Leben Stolpersteine hingelegt, die ich nicht zu verantworten habe – Schicksalsschläge, Krankheiten, Arbeitslosigkeit und vieles andere?
Sowohl für Glück als auch für Pech im Leben gibt es nie die eine einfache Begründung. Sind wir also dankbar für all das Gute, das uns ausmacht, wie es dieser Pharisäer vormacht, aber ohne wie er zu vergessen, wer alles an unserem Glück mitgebaut hat. Verzweifeln wir aber auch nicht, wenn es im Leben nicht rund läuft. Ja, vielleicht hätten wir hier und da klüger agieren können, aber längst nicht alles liegt in unseren eigenen Händen. Vertrauen wir auch die Wege entlang der Talsohlen des Lebens Gott an und bitten wir ihn um sein Mitgehen.
Pharisäer‑Check: Bist Du ein Netzwerker?
Das gilt nicht nur in unseren privaten Zusammenhängen. Spätestens seitdem das Stichwort Globalisierung in allen Köpfen ist, wissen wir von wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten rund um den Globus. Wohlstand und Wohlergehen der einen hat immer auch was mit den Lebenssituationen der Anderen zu tun. Und das ist bekanntlich keine Frage der Entfernung voneinander. Dass sich daraus Herausforderungen ergeben, die selten einfach zu handhaben sind, ist ebenfalls immer wieder unsere leidvolle Erfahrung. Wer meint, in diesen komplexen Fragen simple Antworten präsentieren zu können, liegt meistens falsch und versündigt sich an denen, die im Angesicht des Wohlstands der Anderen in ihrer eigenen Misere verharren müssen. Wie uns das der Pharisäer und der Zöllner in Jesu Geschichte vormachen.
Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden. – Jesu Worte an die Zuhörerschaft lassen uns nicht unser Licht unter den Scheffel stellen. Froh und dankbar dürfen wir aus Gottes Hand annehmen, was wir sind und haben. Ohne allerdings auch dabei all jene zu vergessen und aus dem Blick zu verlieren, die gemeinsam mit uns durch diese Welt und durch diese Zeit gehen. Denn diese Welt will ja einen Eindruck geben vom angebrochenen Reich Gottes.




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