Wann gehört man dazu ? – Eine Annäherung

Ich glaube, an die Frage heranzugehen, wie es die Bundeskanzlerin tut, übersieht ein Faktum: Integriertsein bedeutet nicht, nicht mehr anders zu sein oder sein zu dürfen. – Gott bewahre. Und dann: Was anders ist, vom Mainstream abweicht etc., weckt nun mal Interesse. Das kann niemand leugnen. Und Interesse ist ja mal erst nichts Negatives. Klar: Wenn ich mein Interesse nutze, um Vorurteile zu zementieren, wenn mein Interesse gelenkt ist, öffnet das der Diskriminierung alle Türen – das ist schlecht. Anderssein darf nur vorurteilsfrei festgestellt werden, soll Integration gelingen. Aber Anderssein zu negieren, schadet der Integration genauso wie die diskriminierende Wahrnehmung von Anderssein.

Den meisten Menschen, die ich kenne, unterstelle ich zunächst einmal empathisches Verhalten, wenn sie Interesse an einer Person zeigen. Die andere Person, der das Interesse bekundet wird, muss dann nun mal damit leben, dass aufgrund der an ihr auffallenden Merkmale dieses Interesse bekundet wird. Das gilt vor allem dann, wenn die Merkmale sehr offensichtlich sind und sich partout nicht ändern lassen.

Dieses Interesse Anderer an mir hilft auch bei meiner Integration – es fördert nämlich die Kommunikation. Integrieren müssen sich übrigens nicht nur Ausländer. Integrieren muss sich jeder Mensch, sobald er/sie Mitglied einer neuen (Lebens-/Arbeits-/Wohn-/Haus-/…-)Gemeinschaft wird. Merkmale, die dann an mir auffallen, werden bei dieser Integration Thema sein. Das gilt auch dann noch, wenn ich diese auffallenden Merkmale gar nicht verantworte, weil sie schon seit vier und mehr Generationen weitergetragen werden.

Mit den beiden indischen Lektoren meiner alten Gemeinde hab ich mehr über Kerala geschwatzt als über Bern, wo sie geboren wurden und aufgewachsen sind. Und sie haben mir übrigens über Kerala in breitestem Bärndüütsch erzählt. Und sie haben das gern gemacht, sie konnten ihr Anders-als-der-Mainstream-sein nicht verleugnen und sie wollten es auch gar nicht. – Ich lebe seit dreiundzwanzig Jahren in einem Schweizer Kontext (nicht immer in der Schweiz), habe einen Schweizer Pass und fühle mich in die Gesellschaft integriert. Sobald ich aber den Mund aufmache (spreche Schwiizerdütsch nur nach dem dritten Bier), fragen mich die Leute: Wo kommst du denn her aus Deutschland? Oder wechseln auf Standarddeutsch, wenn ich nicht auf Schwiizerdüütsch antworte (ich sag dann zumeist, dass ich Schwiizerdüütsch nicht spreche, aber sehr wohl verstehe). Das ändert aber an meinem Gefühl von Integriertsein nichts, dieses Gefragtwerden gehört halt zu meinem Anders-als-die-meisten-Schweizer-sein und zu meiner Integrationsgeschichte. Mit diesem Anderssein zu leben musste ich lernen, das ist aber eben auch ein Teil meiner Integrationsleistung.

Um Merkels Frage zu beantworten: Neben anderem kommt mein Integrationsprozess auch dann zum Erfolg, wenn mein Anderssein vorurteils- und wertfrei als gegeben wahrgenommen und akzeptiert ist – von Anderen und von mir selbst.

0 Kommentare
  1. Rolf
    Rolf sagte:

    Jmd. nur aufgrund seiner Hautfarbe als anders zu identifizieren, ist Rassismus. Zuerst auf das gemeinsame Mensch-Sein zu schauen, ist Integration.

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    • Martin Stewen
      Martin Stewen sagte:

      Wenn die Feststellung des Anderssein eine qualitative Bewertung ist, hast du fraglos recht. Wenn es sich aber lediglich um das Festhalten eines Phänomens handelt: Warum ist das Rassismus? Ist das Rassismus, wenn ich feststelle, dass Frau Nantcha (re neben der Bundeskanzlerin) mehr auffällt als solche mit weisser Hautfarbe auf dem Podium? Ist das diskriminierend, wenn Leute in Abu Dhabi, die nach mir gefragt wurden, einfach vom ´very big German guy´ gesprochen haben und damit zackig hilfreiche Auskunft über mich erteilt haben?

      Wie in meinem Text beschrieben: Das Anderssein des/der Anderen zu negieren, ist auch eine Form von Diskriminierung.

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