Vitus Huonder und die Gretchenfrage
Nein, er hat es nicht wieder getan. Er tut es ständig. Als nach anderen Medien auch kath.ch vermeldete, dass der emeritierte Bischof von Chur, Vitus Huonder, mit der kanonisch irregulären Priesterbruderschaft St. Pius X. einmal mehr Gottesdienst – dieses Mal in Basel Fronleichnam – gefeiert hat, waren die innerkirchlichen Reaktionen sehr verhalten. Ein Reisser war die Nachricht nicht. Huonder halt – wie ihn die Kirche kennt.
Nicht schlimm? – doch…
Und damit könnte man die ganze Sache auch abtun, schubladisieren. Neues war da nicht drin. Nach seiner Weihe zum Bischof von Chur im September 2007 hat er von Anfang an alle deutlich wissen lassen, dass ihn die Diözese eigentlich nicht interessiert, sondern zuerst einmal die Huldigungsübungen von Gruppierungen wie der Piusbruderschaft und ähnlicher Gesinnungsgenossen. Die Leitung seiner Diözese hat er anderen überlassen, die sich mit Freude darüber hergemacht haben. – Überlebt haben sie ihn wohl nicht: Der eine ist heute weitestgehend in der Versenke verschwunden (abgesehen von gelegentlichem Luftschnappen als Kolumnist seines Organs “Neue Zürcher Zeitung”), der andere ist inzwischen ganz aus der Kirche ausgetreten. Während seiner Amtszeit konnte Bischof Huonder sich auf diese zwei aber blind verlassen und sich – mal abgesehen von den unausweichlichen Pflichtübungen, die das Bischofsamt in einer mit Rom unierten Ortskirche wie Chur so mit sich bringt – bevorzugt jenen Kreisen widmen, die zunächst einem Vitus Huonder mal weniger hässliche Fragen gestellt und vor allem einem Bischof Huonder mehr Ehre erwiesen haben. Allen voran eben die Piusbruderschaft. Taucht heute Vitus Huonder also im Kreise von Piusbrüdern etwa zu Fronleichnam auf, dann ist das nichts Neues – gar nicht. Es ist, was es immer schon war. Längst bevor er als emeritierter Bischof seinen Wohnsitz bei den Piusbrüdern im Institut Sancta Maria Wangs (SG) bezog.
Wie schon gesagt: Man kann ein solches Verhalten eines Bischofs je nach Haltung mit einem Lächeln oder einem Schaudern abtun. Und sich anderem zuwenden. Es mag Wichtigeres geben. Man kann das so sehen. Aber: Wer so auf die Angelegenheit Huonder schaut, hat allerdings schwerwiegende Fragen an ein solches Verhalten gefährlich bedenkenlos vom Tisch gewischt. Es sind nicht irgendwelche Fragen – es sind Fragen nach der Glaubwürdigkeit der Kirche.
Stehen wir noch in der Communio?
Zwei Hinweise dazu. In jeder Messe betet die versammelte Gemeinde das eucharistische Hochgebet, stellvertretend gesprochen durch den zelebrierenden Priester und ggf. durch die Konzelebranten. In diesem Akt betet die Gemeinde auch mit dem amtierenden Bischof von Rom sowie mit dem amtierenden Bischof der Ortskirche als Ausdruck einer universalkirchlichen Gemeinschaft. Im 2. Hochgebet heisst das dann etwa so: „Gedenke deiner Kirche auf der ganzen Erde und vollende dein Volk in der Liebe, vereint mit unserem Papst N., unserem Bischof N. und allen Bischöfen, unseren Priestern und Diakonen und mit allen, die zum Dienst in der Kirche bestellt sind.” Dieses Beten-mit ist Ausdruck einer Gemeinschaft von jenen, die am Altar versammelt sind, mit der jeweiligen Ortskirche und schliesslich mit der ganzen Weltkirche. – Wie ist das aber, wenn der Ortsbischof, mit dem man sich am Altar in einer Gebetsgemeinschaft wähnt, diese Communio – zumindest in seinem Herzen und in verschiedenen öffentlichen Akten – aufgekündigt hat?
Missbrauchter Gehorsam
Ein zweites. Bei der Priesterweihe fragt der weihende Bischof den Weihekandidaten als letztes von verschiedenen Versprechen: “Versprichst Du mir und meinen Nachfolgern Ehrfurcht und Gehorsam?” Wenn dann der Kandidat antwortet: “Ich verspreche es”, ist das ein Beweis dafür, dass dieser Kandidat darauf vertrauen will, dass die Indienstnahme durch die Kirche, personifiziert durch den Bischof, der aktuell handelt, sowie durch alle seine Nachfolger, – wortwörtlich – schon in guten Händen liegt. Sentire cum ecclesia – in der Einheit der Kirche fühlen, glauben, hoffen, beten und feiern. Vielfältig ganz sicher, aber letztendlich diese Einheit wahrend. – Wie ist das aber nun, wenn der Ortsbischof, als er selbst per Handauflegung und Gebet in sein bischöfliches Amt bestellt wurde, diese Einheit mit seinem Klerus gar nicht wollte? Sondern lieber mit ganz anderen?
Als ich Bischof Amédée Grab und seinen Nachfolgern dieses Versprechen gab, habe ich mir nicht erträumt, dass es mal so missbraucht würde. Während der Amtszeit von Bischof Huonder war es mir unmöglich, in der Chrisammesse dem Bischof gegenüber, wie es in dieser Feier üblich ist, mein Weiheversprechen zu wiederholen. Ich hielt mich daher diesem Gottesdienst lieber fern. Als der Apostolische Vikar von Südarabien seinen Klerus in der Chrisammesse 2015 in Abu Dhabi bat, das Weiheversprechen zu wiederholen, sind mir inmitten der Mitbrüder die Tränen gelaufen, denn dort war jetzt genau das gegenseitige Vertrauen spürbar, das ich bis anhin vermisst hatte.
Die Wunden bluten weiter
Miteinander Kirche sein ist nicht nur ein liturgischer Vollzug oder eine kanonische Struktur. Miteinander Kirche sein heisst auch darauf vertrauen zu können, dass man – irgendwie, Stichwort: “Vielfalt in der Einheit” – am gleichen Strick zieht. Eben: gemeinsam auf dem Weg ist. Bischof Huonder hat während seines Pontifikates und darüberhinaus stets deutlich gemacht, dass er und seine Ortskirche auf verschiedenen Wegen unterwegs sind. Das hat Vertrauen masslos erschüttert. Noch als Emeritus macht er weiterhin deutlich, dass sein Herz nicht an dieser Kirche hängt, für die er beauftragt wurde. Daher eitern die Wunden der Zweifel an seinem Pontifikat munter weiter. Das ist unerträglich. Es wäre gut, heilsam und hilfreich, wenn er noch diesen letzten Schritt gehen und den formellen Bruch vollziehen könnte. Dann haben wir endlich, was allen gut täte: die Trennung.
“Bischof Vitus Huonder bekräftigte nochmals ausdrücklich, dass dies sein letzter Wille sei: Er möchte in der Nähe von Bischof Marcel Lefebvre bestattet werden.” (https://www.bistum-chur.ch/…/im-herrn-verstorben…/) – Wie hiess es gerade aus meinem Umfeld: Nun wächst zusammen, was zusammen gehört. Das Schisma ist vollzogen. Spät, vielleicht zu spät – aber immerhin.