Vergebung: 490 Mal, ein guter Anfang

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Zum 24. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr A

Oft ist nicht oft genug

Das Evangelium am heutigen Sonntag ist delikat. Das Thema »Vergebung« ist herausfordernd: sei es, wenn es um Momente geht, in denen wir selbst Vergebung erfahren oder erfahren möchten, in denen wir anderen vergeben sollen oder wollen, in denen wir uns selbst vergeben. Wenn uns Gott vergibt. Ich wage die Behauptung: Zusammen mit Petrus haben sich die meisten von uns vermutlich schon einmal überlegt, wie Vergebung angemessen gehen könnte. Nicht jene, die wir erhalten, sondern zuerst einmal jene, die wir erteilen. In den kleinen Fehltritten des Lebens oder auch, wenn es um das ganz große Zerwürfnis geht. “Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben, wenn er gegen mich sündigt? Bis zu siebenmal?”, fragt Petrus Jesus und der macht ihm dann ganz deutlich klar: Oft ist nicht oft genug, es geht gar nicht gründlich genug: “Ich sage dir nicht: Bis zu siebenmal, sondern bis zu siebzigmal siebenmal.” – Jesus unterstreicht seine Mahnung daraufhin mit einem Gleichnis. Und dieses hat es in sich. Denn Jesus macht etwas ganz anderes, als Petrus zu antworten.

Es geht um den Himmel

Auf den ersten Blick stimmt was mit dem Gleichnis nicht: Petrus fragt doch nach Vergebung und Jesus erzählt – vom Himmelreich. Es geht in Jesu Antwort nicht zuerst um Vergebung: “Mit dem Himmelreich ist es wie mit…” einem König, der voller Vergebung ist. Jesu Katechese erzählt vom Himmelreich. Der Gottessohn macht mit seinen Worten klar: Himmelreich ist auch dann, wenn der Mensch Vergebung erfahren lässt. Und das heißt wiederum: Umfassende Vergebung passiert also nicht grund- und absichtslos. Wer Vergebung erfährt, erfährt den Himmel; wer vergibt, lässt den Himmel erfahren. Und von dieser Erfahrung kann es nicht genug geben.

Die Ethik des Alten Testamentes lautet ja eigentlich anders: “Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn” (Exodus 21). Die Grundlage dazu ist das Recht auf Vergeltung und Wiedergutmachung, wie es im alttestamentlichen wie in jedem anderen Rechtssystem enthalten ist. Und dieses Recht auf Wiedergutmachung hebt Jesus auch nicht auf. Er, der gesagt hat, nicht ein Jota am jüdischen Gesetz ändern zu wollen (Matthäus 5), bleibt dieser Haltung treu. Jesus geht es nicht zuerst um Erlass von Schuld, – Jesus geht es um den Himmel.

Es muss ‘klick’ machen

Nun bleibt aber komisch auf den ersten Blick: Man sollte doch meinen, Vergebung ist Vergebung – was macht jetzt den Unterschied zwischen sieben Mal und siebenundsiebzig Mal vergeben? – Jesus lässt am Beispiel des Knechts aufleuchten und damit die Zuhörerschaft wissen: Je mehr die Erfahrung bei uns einfährt, selbst statt Rache und Wut Vergebung erfahren zu haben, desto weiter öffnet sich für uns selbst der Himmel, desto eher sollte dann auch in uns die Bereitschaft wachsen, selbst Vergebung zuzusprechen statt auf Rache und Wiedergutmachung zu drängen. – Bei dem Knecht hat das nicht funktioniert. Obwohl der König einen schier unermesslichen Verzicht geübt und dem Knecht eine riesige Schuld erlassen hat, war dieser gerettete Knecht nicht in der Lage, es ihm auch nur im Ansatz gleichzutun. Er, dem der König den Himmel geöffnet hat, war nicht bereit, dasselbe für seinen Freund zu tun.

Gott selbst macht es vor

Wer ein Gleichnis in den Heiligen Schriften liest, sucht schließlich nach dem Vergleichspunkt. “Mit dem Himmelreich ist es wie…” – Der Herrscher im Gleichnis ist der Hausherr des Himmelreiches: Gott selbst. Der Evangelist will seinen Zuhörern eröffnen: Es ist Gott selbst, der in größtmöglicher Barmherzigkeit den Menschen den Himmel öffnet und er tut das, in dem er alles hingibt, was er hat: seinen Sohn am Kreuz. Als Zeuginnen und Zeugen dieses Heils Gottes sind nun auch wir aufgerufen, aus der Erfahrung von Vergebung heraus Anderen den Himmel zu öffnen – und sei diese Erfahrung auch noch so klein. Aber jeder noch so kleine Ansatz ist besser als nichts – wie das Beispiel des Knechts uns wissen lässt.

Wenn wir also vergeben, dann tun wir das nicht nur, um die Beziehung zum anderen Menschen wieder zu heilen, sondern zum einen um diesen anderen Menschen ein Stück vom Himmel erfahren zu lassen und zum anderen, um an unserer eigenen Gottesbeziehung zu schaffen.

Vergebung lohnt sich

Vergeben lohnt sich also, so die Botschaft der heutigen Verkündigung – zumindest dann, wenn einem der Himmel wichtig ist. Eine Herausforderung aber bleibt das Thema ´Vergebung allemal. Den Weisheitsprediger Jesus Sirach hörten wir in der heutigen Lesung: “Denk an die Gebote und grolle dem Nächsten nicht, denk an den Bund des Höchsten und übersieh die Fehler!” – und übersieh die Fehler – tabula rasa. Der Prediger hängt die Messlatte noch höher als der Evangelist. Die Idee ist ja gut und lebensstiftend, aber was hindert uns so oft, ihr zu folgen?

Ja, es bleibt schwierig

Fraglos ist Vergebung eine der schwersten Übungen überhaupt. Das liegt vor allem daran, dass Vergebung nicht allein eine Kopfsache ist, sondern in erster Linie eine Angelegenheit des Herzens, zumeist eines verletzten Herzens, das dem Hirn dann eben so manchen Streich spielt. Das lässt sich oftmals nicht so einfach mit den guten Worten eines Evangelisten oder eines Predigers umlenken. Die Messlatte der Schriften hängt also nicht nur sehr hoch, sondern oftmals auch zu hoch für unsere menschlichen Fähigkeiten.

Vielleicht aber ist der erste Schritt in die richtige Richtung von Vergebung schon genau dann getan, wenn wir uns dessen bewusst werden: dass es nicht der andere ist, dass es nicht seine Fehler sind, die uns Vergebung so schwer machen, sondern unser eigenes – manchmal tief – verletztes Herz, das uns hindert. Vielleicht ist solch eine erste Wahrnehmung unserer eigenen Schwäche ein Wegbereiter zu einem späteren Akt der Vergebung, wenn unser gekränktes Herz einst willens wird dazu. Vergebung ist und bleibt eine schwierige Übung. Aber wir sollten es durchaus mal probieren. Es geht schließlich um den Himmel.

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