Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne – oder: Am Ende nur Endzeit?
Zum 33. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr B
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Im Jahr 1941 schreibt Hermann Hesse nach schwerer Krankheit das Gedicht “Stufen”. Das Leben, so lässt uns Hesse mit seinen Zeilen wissen, entwickelt sich fort um fort. Dabei lässt er uns im Unklaren, ob die Entwicklung irgendeine innere Begründung kennt, oder ob sie einfach ist, wie sie ist. Zwei Erkenntnisse aber bleiben auf dem Weg wichtig: Die Entwicklung geht voran und der Mensch kann dieses Fortschreiten nicht aufhalten, wohl aber beeinflussen. Der Mensch ist da und schreitet durch das Leben fort, nicht notwendigerweise höheren, aber sicher anderen Sphären entgegen.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Dieses Gedicht begleitet in Hesses Roman “Das Glasperlenspiel” die Hauptfigur, deren Dasein beinhaltet, mit den verschiedenen Quellen von Erkenntnis und Weisheit im Leben und ihren Widersprüchen umzugehen, sie einzuschätzen und zu nutzen, um sich schliesslich im Leben zu entwickeln. – Ein Lebensthema, das keinem Menschen fremd ist. Die ewige Frage des Menschen aber bleibt, was denn der Motor eines jeden Anfangs, einer jeden Entwicklung – was denn der “Zauber” ist, der uns von Anfang an von Schritt zu Schritt bewegt. Ein Thema nicht nur der Philosophie und Literatur, sondern vor allem auch des Glaubens. Interessant aber: Während die Literatur das Leben als sich auf den Tod zubewegend betrachtet – jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben -, schaut der Glaube vom unausweichlichen Moment des Todes zurück aufs Leben. Aus gutem Grund: Im Tod wird Gottes Heilsversprechen vollumfänglich relevant, erst im Tod sehen wir, dass der Glaube an die Auferstehung hält, was er uns ein Leben lang verheissen hat.
Aus der Perspektive der Heilsbotschaft ist der Übergang vom Leben ins ewige Leben abenteuerlich. Ein Übergang, der dem Glauben nach einhergeht mit Abrechnung und Läuterung. Dieser Übergang kommt dramatisch daher. So heisst es heute, die Sonne [wird] verfinstert werden und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden. […] Himmel und Erde werden vergehen. Die endzeitlichen Bilder des Evangelisten Markus mögen in unseren Ohren und Herzen drastisch ankommen, aber mal ehrlich: Wie oft stehen wir entsetzt und angsterfüllt vor all dem, was unsere menschliche Geschichte an Furchterregendem so mit sich bringt. So können wir immer wieder feststellen, dass die Gefühlslagen, die diese Bilder erzeugen durchaus in unserem Leben vorkommen. – Dann kommt eine Zeit der Not, wie noch keine da war, seit es Völker gibt, bis zu jener Zeit. Der Textabschnitt aus dem Buch Daniel gibt sich auch nicht beruhigender. So ist das eben in apokalyptischen Texten und Bildern: Sie spitzen unsere Ängste und Sorgen bis ins Unendliche zu und sie scheinen kein Entrinnen erkennen zu lassen. Wäre da nicht ein “aber”, eine Alternative, die Hoffnung aus dem Glauben. Daniel deutet sie schon an: Doch zu jener Zeit wird dein Volk gerettet, jeder, der im Buch verzeichnet ist. Im Neuen Testament wird diese Hoffnung auf Rettung noch viel konkreter – sie wird Mensch: Dann wird man den Menschensohn in Wolken kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit. Und er wird die Engel aussenden und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels, heisst es im Evangelium. – Aber bitte: Was soll dann das Leben selbst aus der Perspektive dieser Endzeit-Literatur sein: Warten aufs Ende, Vorgeschmack des Kommenden? Sonst nichts?
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten,
schreibt Hermann Hesse in seinem Gedicht “Stufen”. Und lässt uns aus dem Blickwinkel des Literaten wissen: Auch wenn das Leben rückwärts gedacht werden kann, es muss zuerst nach vorn gelebt werden, es muss sich – wortwörtlich – ent-wickeln. Das Leben im Hier und Heute ist kein Durchlauferhitzer, der uns warmlaufen lässt fürs Ewige. Die Endzeitliteratur, wie wir sie im Evangelium gehört haben, kann manchmal so ein Gefühl vermitteln. Leben im Hier und Heute aber hat seinen eigenen Wert – auch im Heilsplan Gottes. Davon geben etwa all die Heilungsgeschichten Zeugnis, die das Neue Testament uns überliefert: Heil Gottes ist ein Versprechen für die Ewigkeit, soll aber schon hier und heute erfahrbar sein am eigenen Leib und unser Dasein prägen.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Doch auch, wenn das Leben dem hiesigen Leben dienen soll, kennt es ein durchaus ja ein fernes Ziel. Für uns Christinnen und Christen ist das der Himmel, das Jenseits, das Ewige. Auch wenn sich das Leben zu leben lohnt bis zum allerletzten Schluss, weiss unser Glaube, dass es diesen allerletzten Schluss nicht gibt. Es gibt immer noch das ‘Danach’. Ob sich die Wende so dramatisch einstellt, wie es uns der Evangelist mit seinen Bildern im heutigen Evangelium vermittelt, das wird sich dann einmal weisen. Vielleicht führt Gott uns einfach auf unscheinbaren Pfaden an seine Seite. Wir werden das sehen. Wie schon vor uns Hermann Hesse, nicht nur Literat, auch Sohn eines Predigerehepaares der Basler Mission:
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
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