Liebt eure Feinde! – Geht’s noch?!
Zum 7. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C
Wie du mir so ich dir?
Kennen Sie das: Sie sind eingeladen zur Feier eines Verwandten oder einer Freundin und überlegen sich nun, was Sie als Geschenk mitbringen könnten. Mal ehrlich: Haben Sie sich nicht auch schon bei der Versuchung erwischt, sich bei Ihrem Geschenk für jemanden anders an dem Geschenk zu orientieren, das genau diese andere Person Ihnen irgendwann einmal zuvor mitgebracht hat? So versuchen wir doch oftmals, zum einen jemanden nicht blosszustellen. Die Idee: Unser Geschenk soll nicht mehr sein als das des Anderen, um so eine Art des Übertrumpfens auszuschliessen. Auf der anderen Seite soll unser Geschenk nicht weniger sein, weil wir uns selbst nicht zu blossstellen wollen. – Klar, viele pfeifen durchaus auf diese Art einer Geschäfterei der Güte, – wir geben und sind gütig, weil wir das von Herzen wollen: Aber haben wir es nicht irgendwie alle auch schon mal anders erlebt?
Einer geht noch
Die Verkündigung des heutigen Sonntag führt uns aus ganz verschiedenen Perspektiven an diese Thematik heran und lässt uns unsere eigene Stellung finden. Im Evangelium ruft Jesus der Zuhörerschaft zu: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen! Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd! Und meint damit: Vergesst eine Ökonomie der Güte! Vielmehr: Tut über die Massen Gutes, seid gut, weil euch euer Innerstes dazu treibt, weil ihr zum Anderen wirklich gut sein wollt. Tut es, weil ihr Lust dazu habt, gut zu sein. Und wenn es nicht gerade die Lust ist, die euch treibt, dann tut es aus Dankbarkeit dem Schöpfer aller gegenüber. Sogar, denen die uns Böses wollen, sollen wir Gutes tun: Wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Denn auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden. Und wenn ihr denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder, sagt Jesus. Auf das Geben und das Nehmen an sich soll wir uns besinnen und konzentrieren, nicht auf das Gegebene und Genommene. – Absolut nicht einfach, weil wir es so nicht gewohnt sind. Die Worte der Feldpredigt, die wir heute gehört haben und die in weiten Teilen der Bergpredigt im Matthäusevangelium entsprechen, sind so etwas wie ein Grundsatzprogram der Mission des Gottessohnes. Und Jesu Mahnung, mit Güte kein Business zu betreiben ist nicht selbstlos – sie hat einen sehr tiefgehenden Grund: Die Menschen sollen sich aneinander verschenken, so wie es Gott selbst mit ihnen getan hat. Die endlose Güte Gottes soll bei allem, was wir tun, durchscheinen. Das ist nicht so ganz einfach, aber immer wieder probieren sollen wir es schon, mahnt die Schrift.
Fesseln abwerfen
Der Apostel Paulus formuliert die Mahnung in einem Bild: Der erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der zweite Mensch stammt vom Himmel. Wie der von der Erde irdisch war, so sind es auch seine Nachfahren. Und wie der vom Himmel himmlisch ist, so sind es auch seine Nachfahren. Wie wir nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden. Und lässt uns damit wissen: Durchbrecht euer Denken und Fühlen und erhebt euch selbst über alles Irdische. Ja, Paulus hat immer das perfekte Geschöpf Gottes vor Augen, aber der Weg dahin ist nicht so ganz einfach. Das wusste niemand besser als der Völkerapostel selbst. Wenn es um Güte und Menschenliebe geht, hindert uns eigentlich recht wenig, aber das bisschen reicht doch zu oft: Es sind unsere eigenen Vorstellungen von diesen Haltungen, der feste Glaube, dass es irgendwie nicht geht. – Man könnte auch sagen, Paulus fordert die Menschen auf: Springt mal endlich über euren Schatten! Tut Gutes in einem Mass, dass ihr euch nicht vorstellen könnt. Seid da, wo euer Fehlen richtig einsam macht. Sagt Wahrhaftiges, wo euer Leugnen oder gar Schweigen – übrigens in der Kirche auch wie in der Politik – Leben zerstört. Denkt über alle Grenzen hinweg, wo Mutlosigkeit Entwicklung verhindert. Knüpft überall Freundschaften und Verbindungen, weil alle miteinander mehr sind als nur die Summe der vielen Einzelnen.
Die alttestamentliche Geschichte bringt uns dieselbe Botschaft als Heldenstory aus der Geschichte des Alten Volkes Israels nahe: David konnte dem König Saul aus durchaus berechtigter Vergeltung nach dem Leben trachten, tut es dann aber nicht. David macht dann aber doch etwas, das Jesus in der neutestamentlichen Botschaft ausdrücklich ausschliesst: David macht seinem Widersacher in ausladenden Gesten klar, wie gnädig er mit ihm umgesprungen ist. Jesus aber lässt die Menschen wissen: Wenn ihr Zeugnis von der Güte Gottes gebt, dann bleibt diskret. Eure Zeichen und Taten sollen sprechen, nicht eure Worte.
Nächstenliebe: Ja, aber…
Die Botschaft der Verkündigung am heutigen Sonntag also: Denkt zuerst an den Anderen, lasst für ihn alles stehen und liegen, liebt sogar zuerst eure Feinde – um des Himmelreiches willen. – Haben Sie schon einmal in einem Flugzeug gesessen kurz vor dem Start? Das Kabinenpersonal wird jetzt Notfallsituationen erklären und dabei auch auf den Umgang mit den Sauerstoffmasken verweisen, die im Ernstfall von oben herunterfallen – verbunden mit der Mahnung, man solle in der Krise zuerst sich selbst versorgen, bevor man anderen Passagieren hilft. Denn helfe ich mir selbst nicht zuerst, werde ich schnell wegen Sauerstoffmangels in der Situation sein, dass ich auch Anderen nicht mehr helfen kann und selbst dringendst Hilfe brauche.
Es gibt durchaus Situationen im Alltag, da muss unser eigenes Befinden Vorrang haben. Niemand hat am Ende etwas davon, wenn wir so verausgabt sind, dass wir selbst Hilfe brauchen: nicht in der Familie, nicht unter Freunden, nicht im Beruf, nicht in tätiger Nächstenliebe. Oder sonst wo. Eine Haltung überschwenglicher Solidarität und Nächstenliebe, die unser Wesen dem Himmlischen entgegen entwickelt, wie Paulus sagt, soll uns durchaus zu eigen sein. Aber wer hier dauerhaft masslos ist, für den gilt dassselbe wie anderswo bei masslosem Verhalten auch: Es wird bald einmal ungesund.
Und so können wir die Botschaft der Verkündigung am heutigen Sonntag noch ergänzen: Tut in der Sorge um den Nächsten alles, was ihr könnt, tut es wirklich, aber tut es mit Vernunft.
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