“Ist das nicht der Zimmermann?” – Von einer verkorksten Beziehung
Zum 14. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr B
Heimkehr ist Herausforderung
Ich versuche regelmäßig, am zweiten Weihnachtstag in meiner ursprünglichen Heimat zu sein und feiere dann mit meiner Heimatgemeinde den Stephanustag. Es ist die Kirche, in der ich zur Erstkommunion gegangen und gefirmt worden bin und meine erste Messe als Neupriester gefeiert habe. Jedes Mal wenn ich dorthin zurückkehre, ist es auch ein eine Rückkehr zu den Wurzeln. Im Gottesdienst treffe ich auf Menschen, deren Kinder mit mir zur Schule gegegangen sind oder die mit mir in der Jugendarbeit der Pfarrei aktiv gewesen sind. Für die Menschen, denen ich begegne und die mich noch aus früheren Zeiten kennen, spielt das meiste meiner Biographie nach dem Auszug aus dem Elternhaus keine Rolle: Es ist Stoff von Erzählungen, nicht des gemeinsamen Erlebens.
Für mich aber ist das anders: Der größte Teil meiner heutigen Biographie entstand nach der Zeit im Elternhaus. Für viele Menschen in der Heimat-Kirche steht da am Altar aber der Ministranten- und Pfadfinderleiter aus den 1980er Jahren. Und entsprechend herausfordernd ist oftmals dann diese Asymmetrie in der Wahrnehmung. Ich erinnere mich noch gut an die ersten Predigten in der Heimat: Es war nicht ganz einfach.
Weißt, du noch: früher…?
“Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder von Jakobus, Joses, Judas und Simon? Leben nicht seine Schwestern hier unter uns?”
Jesus kommt zurück in seine Heimatgemeinde und es ergeht ihm wie zahlreichen anderen Heimkehrenden auch. Die Menschen, die ihn erleben, knüpfen an ihre Erinnerungen und an ihre Kenntnisse über Jesu Familie an. Damit wird übrigens diese Textstelle auch zu einer der wenigen Hintergrundinformationen zu Jesu Herkunft: Wir hören niemanden Fragen stellen zu all dem, was Jesus nach seinem Auszug aus Nazareth getan hat. Zumindest ein paar wenige Gerüchte zu seinen Predigten und seinen Wundertaten dürften sich herumgesprochen haben. Aber wir hören nichts davon.
Nun in der Synagoge von Nazareth tut Jesus das, was er begonnen hat zu tun, nachdem er Nazareth verlassen hat: Er hält eine Torah-Katechese und das anscheinend auf eine sehr gelungene Weise. Die Menschen sind irritiert – passt doch das, was sie da erleben, nicht zusammen mit dem, was sie in ihren Erinnerungen haben. “Da sagte Jesus zu ihnen: Nirgends ist ein Prophet ohne Ansehen außer in seiner Heimat, bei seinen Verwandten und in seiner Familie.” Eine bittere Erkenntnis.
Wurzeln halten
Eine Rückkehr an die Wurzeln ist eben nicht nur schön und kann nicht nur zu wunderbaren Erinnerungen führen, sie kann durchaus auch eine große Herausforderung sein. Das erleben nicht nur Menschen, die selbst zurückkehren zu ihren Wurzeln, sondern auch die Vielen, die nur von den Wurzeln her schauen. Wie oft denken oder sagen Eltern: War das nicht gestern noch mein kleiner Bub, meine kleine Tochter? Und dann sind diese Menschen plötzlich Erwachsene mit einer eigenen Entwicklung, auf deren Verlauf die Eltern vielleicht gar nicht mehr so einen großen Einfluss haben. – Aber sie haben das Fundament gelegt, auch das darf nicht vergessen werden.
Unsere menschliche Entwicklung in jeder Hinsicht – körperlich, geistig, geistlich, biographisch – ist das A und O unserer individuellen Geschöpflichkeit. Entwicklung stellt jeden Menschen vor Herausforderungen. Das wissen wir aus unseren eigenen Biographien zu gut; und auch unser Umfeld, wie uns das Evangelium heute vermittelte.
Und das ist nicht nur Sache unseres Lebens, sondern es ist auch der Wille dessen, der uns in dieses Leben gesetzt hat. Sagt Gott doch dem Propheten Ezechiel: “Menschensohn, stell dich auf deine Füße; ich will mit dir reden. Da kam Geist in mich, als er zu mir redete, und er stellte mich auf meine Füße.” Gott stellt jeden und jede von uns auf unsere Füße, damit wir uns bewegen, uns entwickeln; auch, wenn das andere vielleicht sehr erstaunt.
Da ist noch etwas
In der Botschaft des heutigen Evangeliums schwingt aber noch eine weitere Bedeutung mit. Sie ergibt sich, wenn wir bedenken, dass Jesus nicht nur der Sohn des Josefs und der Maria ist, der heimkehrt und dort nicht verstanden wird. Wenn doch das Evangelium von Jesus aus Nazareth spricht, dann verkündet es vor allem den Sohn Gottes – und damit denjenigen, mit dem Reich Gottes auf der Erde lebendig wird. Und diesen Anbruch dieses Reiches Gottes lebt heute und hier die Nachfolgegemeinschaft Jesu – die Kirche.
Lesen wir aus dieser Perspektive das Evangelium noch einmal: Da kommt mit Jesus das Reich Gottes zu den Menschen und sie lehnen es ab, weil es nicht ihren Vorstellungen entspricht. Die Kirche kommt zu den Menschen und sie ist nicht das, was sich die Menschen unter ihr vorstellen. Sie ist nicht mehr wie früher, wie zu Kinderzeiten. Sie ist nicht so, wie man sie aus Erzählungen, aus den Medien, aus den eigenen Gedanken kennt. Sie ist überhaupt nicht das, als was sie so vorgestellt wird. Und damit wird sie eine Herausforderung. Gleich wie Jesus in der Synagoge zu Nazareth zur Herausforderung geworden ist. – Und nun?
Ja, Jesus hätte in seinem Reden und Handeln da zuhause durchaus empathischer und geschickter sein können. Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, wenn er mehr auf die Menschen eingegangen wäre, sich nach ihrem Verständnis erkundigt hätte. Eine Empfehlung, die man seiner Nachfolgegemeinschaft in heutiger Zeit sicher auch mit auf den Weg geben kann. Aber: Auch die Menschen von Nazareth hätten sich durchaus an dem, der da aus ihrer Mitte stammte, intensiver abarbeiten können – mit dem Willen, wohl kritisch zu bleiben, aber vor allem auch: um zu verstehen. All das ist nicht passiert. Und damit scheitert Jesu Heimkehr.
Vom Hinhören und Hinschauen
Das Evangelium des heutigen Sonntags ist mehr als nur eine schwierige Heimkehrer-Geschichte. Es ist eine Herausforderung zu gelingender Kommunikation. Wer seinen Glauben lebt und die Botschaft Gottes in seinem Leben aufscheinen lässt, muss schauen, was sie für ein Licht verbreitet. Und wer die Botschaft vernimmt, ist eingeladen und aufgerufen, hinzuschauen, hinzuhören, nachzufragen, verstehen zu wollen – denn da ist für alle viel Leben drin.
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