„Hast du was, dann bist du was“ – Oder?
Zum 23. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C
Haben und Sein
Im März 1980 starb in der Nähe von Locarno im Tessin der Psychoanalytiker Erich Fromm. 1900 als Sohn jüdischer Eltern geboren wuchs er in Frankfurt auf. Im deutschen Heidelberg studierte er Soziologie und setzte sich zudem intensiv mit den Lehren des jüdischen Talmud auseinander. Als ausgebildeter Psychoanalytiker war er ab 1930 in der Frankfurter Sozialforschung tätig. In politischer Ausrichtung gilt Fromm als demokratischer Sozialist. Nach der Machtergreifung Hitlers wird das ganze Frankfurter Institut für Sozialforschung in die USA verlegt. Dort wird Erich Fromm Professor für Psychologie, ab 1950 lehrte er bis zur Emeritierung in Mexiko. Wenige Jahre danach zog es ihn in die Schweiz, wo er bis zum Ende seines Lebens verblieb. Seine letzte Ruhestätte findet sich auf dem Friedhof von Bellinzona.
Vier Jahre vor seinem Tod verfasst Fromm sein Werk »Haben oder Sein«. Darin stellt er fest: „Wir sind eine Gesellschaft notorisch unglücklicher Menschen: einsam, von Ängsten gequält, deprimiert, destruktiv, abhängig.“ Und warum? – Der Mensch verwechselt beständig sein Wesen mit seinem Besitz und glaubt, er bestehe durch das, was er hat, und ist folglich stets darum bemüht, mehr zu haben. Das, so Fromm, ist ein fataler Fehler mit schrecklichen Folgen für die Menschheit, denn Habgier und Frieden schließen sich aus.
Besitz hat viele Gesichter
Das sind keine uns völlig fremden Ideen, das sind Erfahrungen aus unserem eigenen täglichen Leben und aus dem Leben der Welt. Sogar in der Bibel heißt es schon: “Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ Den Satz aus dem Markus-Evangelium (Mk 10,25) kennen wir ja doch alle ganz gut. Mit seinem Buch zielt Fromm aber noch in eine andere Richtung: Er macht er darauf aufmerksam, dass wir Menschen immer wieder gleichsam gegenständlich versuchen zu besitzen, was eigentlich unsere Existenz ausmacht. Soll heißen: Ich sehe meine Eigenschaften und Charaktermerkmale an wie Schmuckstücke im Regal, die ich mir teuer erworben habe, die ich immer mal wieder abstaube, die aber ansonsten mit mir wenig zu tun haben, die meine Person nicht ausmachen und einfordern.
Was das heißt, führt Fromm an einigen Beispielen aus, von denen ich zwei heraus nehme. Ich führe die Gedanken Fromms aus anhand der der Begriffe »Autorität ausüben« und »Wissen«.
Zum ersten Beispiel: Ob ein Mensch aufgrund seines geprägten Wesens Autorität ausstrahlt und mich gefangen nimmt und beeindruckt, oder ob ein Mensch aufgrund seiner Herkunft, seiner Wahl oder seiner Weihe Autorität hat, obwohl er vielleicht furchtbar dumm und inkompetent ist, das ist ein großer Unterschied. Wie viele Menschen kennen wir, die aus irgendeinem Grund Autorität haben, aber dafür völlig ungeeignet sind.
Dann: Der Unterschied zwischen »ich weiß etwas« und »ich habe Wissen« ist gerade heute in unserer Zeit der medialen Revolution schwerwiegend. Wir haben heute Möglichkeiten, etwa per Internet und auf anderen Wegen stundenlang Informationen zu konsumieren und sie dann zu besitzen. Aber was wissen wir denn dann tatsächlich? Wir müssen feststellen, dass all unser Wissen das Wesen vieler Menschen schlichtweg unberührt lässt. Denn wie sonst lässt sich erklären, dass sich so viele Schrecklichkeiten der Geschichte, die jeder von uns kennt, immer wiederholen?
Zwei Beispiele, die uns aufzeigen, welch fatale Folgen es haben kann, wenn der Mensch wie einen Besitz pflegt, was eigentlich sein Wesen ausmachen sollte. Nur: Haben ist halt einfacher als Sein. Was ich in Besitz genommen habe, berührt mich nicht, ich kann es auch wieder veräußern – wegwerfen, verschenken, verkaufen. Zu verändern, was ich bin, kann hingegen grausam schmerzhaft sein.
Das neue Sein
In jeglicher Hinsicht weniger haben und mehr sein – diese Empfehlung an uns Menschen gibt es nicht erst seit dem Werk des Psychoanalytikers Erich Fromm. Das heutige Evangelium ruft uns diese Idee schon seit fast zweitausend Jahren entgegen. „Darum kann keiner von euch mein Jünger sein, wenn er nicht auf seinen ganzen Besitz verzichtet“, die Worte Jesu lassen hinsichtlich des »Habens« keinen Zweifel aufkommen. Jesus ermutigt zuerst zum »Sein« – trotz aller Mühen, die damit verbunden sind: „Wer nicht sein Kreuz trägt […], der kann nicht mein Jünger sein.“ Dieser Satz ist ein eindringliches Bildwort. Schließlich gebrauchen wir doch das Wort »Kreuz« in zweierlei Hinsicht: ganz wörtlich im Sinne des Marterwerkzeugs und übertragen als Bezeichnung für unser Rückgrat. Und wer schon mal von Kreuzschmerzen geplagt wurde, der weiß, wie schnell und intensiv man dadurch an seine Existenz erinnert wird. Da muss man das eigene Kreuz wirklich er-tragen. Da wird dieses Kreuz als Rückgrat zum Sinnbild für so vieles Schwere der eigenen Existenz. Dieser Existenz aber sollen wir uns stellen, sie sollen wir gut pflegen. Und das nicht nur im körperlichen, sondern auch im geistigen und geistlichen Sinn.
Mit leeren Taschen Mensch werden
Wer dann so wahrhaft und echt vor Gott existiert, lebt viel entspannter mit all dem, was er nicht hat. Die radikale Besitzlosigkeit, wie sie aus den Worten Jesu heraus tönt, ist vielerorts in unserer Gesellschaft nicht lebbar, das wissen wir. Sehr wohl lebbar aber ist eine gesunde Beziehung zu den Gütern dieser Welt – zu Materiellem wie zu Nicht-Materiellem, zu Geld, Besitz genauso wie zu Wissen, zu Autorität und anderem. Wer diese Güter ohne Rücksicht auf das eigene Wesen besitzt, der kann sich vielleicht in jeglicher Hinsicht eine gute Existenzgrundlage schaffen, aber existieren kann so ein Mensch kaum. Der Mensch, der existieren will, kommt nicht darum herum, die Güter dieser Welt einzusetzen, um sein Wesen zu dem zu gestalten, was Gott im Schöpfungsakt in uns angelegt hat. Gott will, dass der Mensch ist, – nicht, dass er hat. Der Brief des Paulus an Philemon beschreibt in faszinierender Weise, wie auch Paulus das erkennt: Paulus bittet seinen Freund Philemon, den Sklaven Onesimus nicht mehr als einen Besitz anzusehen, sondern als Mitbruder und damit als Menschen, als ein Wesen Gottes. Für die antike Vorstellung eine Revolution.
In den Augen Gottes ist der Mensch also nicht durch das, was er im Tresor oder im Aktienportfolio, im Bücherschrank oder im Pflichtenheft hat, sondern allein durch das, was er tief im Herzen trägt: eben durch das, was er ist. Dieser Schöpfungsidee Gottes gerecht zu werden, kann vielleicht hier und da ein mühsamer Akt sein – wir haben es gehört. Aber es geht. Gott hat es vorgemacht – auch er ist Mensch geworden.
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