Gottes Heilsgeschichte – alles nur geträumt?
Zum 4. Sonntag im Advent – Lesejahr A
Vom Leben träumen
“Davon träumst du wohl” – so sagt man schnell einmal, wenn man auf einen Menschen trifft, der für sich oder andere Leute merkwürdige Ideen im Sinn hat. Für nicht ganz nah dran an der Wirklichkeit hält man solche Menschen. “Davon träumst du wohl” – meint auch immer ein wenig: Der ist nicht ganz ernst zu nehmen, mit dem musst du nicht rechnen. An anderen Stellen versucht man, mit Träumen ordentlich Geld zu machen: Teure Kredite und anderes Geld wird angeboten, um Träume sofort wahr werden zu lassen. Wer träumt, wird zum Goldesel, so die Botschaft.
Dabei geht doch ohne Träume nichts. In diesem Jahr ist es 50 Jahre her, dass der Bürgerrechtler Martin Luther King seine berühmte Rede mit den programmatischen Worten “I have a dream – ich habe einen Traum” gehalten hat. Auch wenn sein Traum vielleicht nicht ganz und gar in Erfüllung gegangen ist, ein gutes Stück näher ist man seiner Verwirklichung zumindest gekommen. Vor wenigen Tagen ist in Südafrika der Anti-Apartheid-Kämpfer und erste schwarze südafrikanische Präsident Nelson Mandela zu Grabe getragen worden: Seine 27jährige Gefangenschaft ist von dem Traum begleitet gewesen, dass es alles einmal besser gehen kann. Mandela durfte schliesslich erleben, dass dieser Traum Wirklichkeit wurde und die Politik der Rassendiskriminierung abgeschafft wurde. Etliche Stimmen bei seiner Beisetzung verwiesen darauf, dass dieser Traum wesentlich gewesen ist für die Person Mandela und darüberhinaus für die ganze Nation Südafrika.
Träume leben
Aber nicht nur an den Anfängen der grossen Dinge dieser Welt stehen Träume. Zu träumen ist wichtige Grundlage der Entwicklung unseres Lebens. Wir fragen einander: Wovon träumst du? Und meinen damit: Erlaube dir, über dich selbst hinaus zu wachsen, selbst wenn dich die Wirklichkeit schon bald wieder auf die Erde zurückholt. Aber wer seine Grenzen nicht zumindest in Gedanken hin und wieder sprengt, verhindert sein eigenes Wachstum.
Auch schaffen wir in unseren nächtlichen Träumen unsere Erlebnisse des Alltags auf und sortieren sie in den Schatz unserer Erfahrungen ein. – Das gilt für die schönen Erfahrungen des Lebens, die das Leben leicht und unbeschwert machen; das gilt aber auch für alle Schrecken des Lebens, die als Träume sogar krank machen können.
Abe wer gar nicht mehr träumt, lebt und erlebt nicht mehr.
Das galt auch für den jungen Zimmermann aus der Stadt Bethlehem in Judäa, dem gerade seine Zukunft zwischen den Fingern zerrinnt. Eigentlich ist ja alles gut: Ein Geschäft ist da und eine Frau, die er liebt. Alles sieht gut aus. Und plötzlich muss er feststellen, dass sich seine Verlobte zu einem veritablen sozialen Skandal entwickelt: Unverheiratet schwanger. Da Josef seine Verlobte aber dennoch liebt, will er die Situation schmerzfrei beenden. Ein Traum macht ihm einen Strich durch die Rechnung und weist ihn neue Wege. Gott sei’s gedankt. Wie wäre die Heilsgeschichte wohl verlaufen, wenn Josef sich nicht von seinen Träumen hätte leiten lassen. Stattdessen nimmt er sein Leben in Angriff und geht mutig ungewöhnliche Wege. Er gestaltet die Idee eines Lebens aus, das entgegen der Traditionen seiner Zeit verläuft. So wird er zu einer Schlüsselfigur im Heilsgeschehen, der allerdings später wenig Platz eingeräumt wird: Keiner der Evangelisten erinnert sich seiner nach der Kindheit Jesu. In der Heiligenbild-Tradition wird Josef oft schlafend dargestellt – in jenem Zustand also, in dem sich seine wichtigsten Lebenssituationen ereignet haben. Josef erlaubt sich das Träumen. Und in seinen Träumen erfährt er dasselbe, was der Prophet Jesaja dem König Ahas zusagt: Geh deine Wege – denn da ist der Gott, der mit dir ist.
Trau dich zu träumen
Die grossen Träumer der Geschichte halten uns durch ihre Beispiele vor Augen: Nur wer träumt – bei Tag und Nacht -, hat Freiheit. Und nur wer seine Freiheit zum Träumen nutzt, kann jenes ‘Leben in Fülle’, das uns die Heilsbotschaft Jesu verheisst, erahnen und zur Gestalt bringen. Das ist die Botschaft des Zimmermanns aus Bethlehem an uns.
Und – was bleibt von unserem Träumen in unserem Leben übrig? Erlauben wir uns das Träumen? Was kommt in unseren Träumen vor? Reichen unsere Träume hinaus über unseren Alltag? Wagen wir noch den Traum vom guten Leben für uns selbst, unsere engsten Kreise, haben wir politische Träume für unsere Gemeinde, unser Land? Haben wir Träume davon, wie diese Welt aussehen könnte?
Die grossen Träumer der Geschichte haben in dieser Welt Spuren hinterlassen, weil für sie der Moment kam, da sie aus ihren Träumen erwacht sind und anfingen, das konkrete Leben zu gestalten. Und jeder Traum wird mit der Wirklichkeit auch anders. Das haben auch alle erfahren müssen, die das gewagt haben.
Der Traum des Josef, von dem wir heute hörten, endet mit einem Neuanfang: “Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.” Der zweite Traum mündet gar in einem Aufbruch: “Da stand Josef in der Nacht auf und floh mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten,” heisst es bei Matthäus. Seine letzten Träume, von denen wir lesen können, führen Josef und seine Familie schliesslich von Ägypten zurück nach Galiläa. Und wohin könnten uns unsere Träume führen?
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