Einmal Gezi-Park/retour, bitte

Was soll man davon davon halten? Seit gestern kursiert im Netz und nun auch im Fernsehen das Foto der Grünen Claudia Roth. Die Ärmste: Mit völlig verquollenem Gesicht hat sie ein zufälliger Beobachter abgelichtet und das Foto publiziert. Frau Roth hat zu tief Luft geholt, als um sie herum die Tränengas-Granaten flogen. Frau Roth hat mit anderen Parlamentariern die Demonstrationen im Istanbuler Gezi-Park unterstützt.

Selbst schuld?
Ach ja, es ist ja Wahlkampf?
Wer gewählt werden will, muss leiden?
Eine mutige Frau?
Das nennt man Solidarität?
Der Gezi Park bekommt ein (bekanntes) Gesicht?

Ich bin so hin- und her gerissen. Meine erste Reaktion war Bewunderung. Ähnlich wie schon bei ihrem Parteikollegen Volker Beck: Beck hat vor ein paar Jahren am Christopher Street Day in Moskau teilgenommen und sich um die Übergabe einer Petition gegen die homophobe Rechtslage in Russland bemüht – was gehörig schief gegangen ist. Mit der Gewalt des Pöbels ist dieser Ausdruck eines demokratischen Systems niedergeknüppelt worden. Ein Welle der Solidarität brauste parteiübergreifend durch Deutschland. Gerührt hat das in Russland niemanden: Heute ist die Lage schlimmer denn je.

Jetzt setzt sich Frau Roth ein – nein, nicht gegen den Bau eines Shopping-Centers: Es geht um mehr. Ein Land, dem es wirtschaftlich anständig geht, das mehr demokratische Züge zeigt als einige seiner Nachbarn, droht unter der Fuchtel eines immer mehr autokratisch herrschenden Machthabers in vordemokratische Situationen abzugleiten. Dagegen die Stimme zu erheben ist unbedingt geboten.

Aber wogegen denn? Plötzlich werden nämlich viele Stimmen laut, die ihre Bedürfnisse und Kritiken anmelden. Es geht nicht nur um einen Kampf von Demokraten gegen Demokratiegegner. Da melden sich plötzlich sunnitische und alevitsche Gruppierungen, da melden sich kurdische Einzelgruppen, die alle ihre Wünsche kundtun. Und mit einem Mal wird deutlich: So einfach ist die Situation doch nicht gestrickt. Jetzt gerad braucht es unbedingt die klaren Worte einer europäischen Parlamentarierschaft – bald aber dann auch mit Nachhaltigkeit die feinen Handschuhe der Diplomatie. Ist Europa dafür gerüstet?

Liebe Frau Roth, ich finde, Sie haben Mut bewiesen. Wahlkampf hin oder her. Aber jetzt lassen Sie nicht nach! Wenn die Tränensäcke wieder abgeschwollen sind, erheben Sie Ihre Stimme auch weiterhin laut. Und zwar nicht nur vor Kameras (ja, es ist mir immer noch klar: es ist Wahlkampf…), sondern auch in Kreisen von Diplomatie und Wirtschaft. Und tun Sie das bitte auch dann noch, wenn die Wahl im September für Sie günstig ausgehen sollte!

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