Effata: Mündiges Christsein hier und heute
Zum 23. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr B
“Der Herr lasse dich heranwachsen, und wie er mit dem Ruf »Effata« dem Taubstummen die Ohren und den Mund geöffnet hat, öffne er auch dir Ohren und Mund, damit du sein Wort vernimmst und den Glauben bekennst zum Heil der Menschen und zum Lobe Gottes.”
Der sogenannte Effata-Ritus ist Bestandteil einer jeden Taufe und lässt den Täufling wissen: Allein der Umstand, dass du durch die Taufe aufgenommen bist in die Gemeinschaft von Christinnen und Christen und dass Gott dich bei deinem Namen gerufen hat, ist wohl ein wichtiger Anfang – aber eben erst ein Anfang. Nach diesem Anfang geht es eigentlich erst richtig los. Vor dem Getauften liegt der Weg des Christwerdens, des Hineinwachsens ins Christsein, der bestimmt ist durch das Hören der Botschaft Gottes, durch das Zeugnis für diese Botschaft, durch ein Sich-Hineinfühlen in das Leben der Christenheit. Wer nur getauft ist und sich im Glauben nicht weiter rührt, dessen Christsein trägt kaum Früchte. Um diesen Weg des Christwerdens gehen zu können, braucht es neben den offenen Ohren und dem offenem Mund alle Sinne des Menschen.
Diskretion statt Inklusion
Vom biblischen Hintergrund des Effata-Ritus haben wir heute im Evangelium gehört: Die Menschenmenge, der Jesus begegnet, bringt einen, der hör- und sprachbehindert ist und entsprechend auch nicht selbst kundtun kann, was sein Anliegen an Jesus ist – auch wenn es da an Offensichtlichkeit kaum mangelt. Als Antwort tut Jesus ein paar heilsame Dinge, die bemerkenswert sind. Zunächst einmal: Jesus nimmt den Mann weg von der breiten Öffentlichkeit. Statt Inklusion Diskretion. Jesus wendet sich dem Mann, der namenlos bleibt, zu und schenkt ihm seine ganze Aufmerksamkeit. Er heilt ihn wohl, aber bis zum Schluss ruft er ihn nicht bei seinem Namen – und damit nicht in seine Nachfolge. Der Mann bleibt in einem Vorstadium der christlichen Berufung.
Dann legt Jesus ihm die Finger in die Ohren – wir fühlen uns erinnert an Psalm 8: “Seh ich deine Himmel, die Werke deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?” Jesus schenkt in der Heilung einen Anteil an diesem Himmel. Es geht nicht nur darum, dass der Mann körperlich ok wird, – die Heilung soll über sich selbst hinaus auf den Himmel verweisen. Mit dem Speichel schließlich legt Jesus dem Anderen etwas von sich selbst in den Mund. Der Geheilte soll nicht nur einfach reden können – er soll bekennen können: “Damit du sein Wort vernimmst und den Glauben bekennst zum Heil der Menschen und zum Lobe Gottes”, heißt es im Effata-Ritus, der diese Heilungsgeschichte ausdeutet.
In der abschließenden Geste stellt Jesus für alle sichtbar die Verbindung her zwischen Himmel und Erde: Was mit dem hör- und sprachbehinderten Menschen geschieht, das ist nicht einfach ein Gesundwerdungsprozess, sondern ein Offenbarungsereignis. Und damit eben wesentlich mehr als nur die Heilung von einer Behinderung.
Von den hörenden Ohren des Herzens (Benedikt von Nursia)
Und das meint: Wenn das so ist, dann kann die Erfahrung des Hör- und Sehbehinderten auch jede und jeder machen, der physisch eigentlich nicht eingeschränkt ist. Erkennen und bekennen können ist dann nicht mehr eine Frage des Zustandes von Ohren und Mund. Es stellt sich viel mehr die Frage, welch ein Geist in diesen Ohren und diesem Mund eines Menschen wohnt. – Der hl. Benedikt spricht dazu in der Einleitung zu seiner Ordensregel von den »Ohren des Herzens«. Diese Frage nach dem geistlichen Zustand von Ohren und Mund stellt sich nicht nur für jeden und jede, die und der in der Taufe in Jesu Fußspuren gesetzt wird – sie stellt sich uns allen immer wieder auch nach der Taufe. Immer wieder neu: Dringt die Botschaft Jesu in unsere Ohren und Herzen und sind wir auf unserem christlichen Lebensweg fähig und willens, von ihm zu erzählen, von ihm Zeugnis abzulegen? – Die Frage nach dieser Bereitschaft übrigens beantwortet der Hör- und Sprachbehinderte nicht. Wir erfahren nicht, was der Geheilte mit seinem Geheiltsein anstellt.
Mündigsein heißt, den Mund aufmachen
Als Jesus den zu heilenden Mann trifft und er die Bitte der Umstehenden um Heilung vernimmt, sondert er ihn von der großen Menschenmenge ab. – Das, was jetzt geschehen soll, ist einzig diesem Einen zugedacht. Jesus wendet sich ihm ganz individuell zu – das Heilungsgeschehen ist nur diesem einen zugedacht und sonst niemanden. Und das meint: Der Anruf Gottes trifft auf jedes Ohr und Herz ganz individuell, das Bekenntnis als Antwort ist das des je einzelnen Mundes und damit des je einzelnen Menschen. Wenn Gott uns beruft, von ihm Zeugnis zu geben, dann ist das eine Aufgabe, die auf jeden Einzelnen und jede Einzelne passgerecht zugeschnitten ist und entsprechend erfüllt werden will. Jede Christin und jeder Christ ist mit dem je eigenen Christsein speziell unterwegs.
Das ist einerseits schön zu wissen, andererseits auch eine Herausforderung. Lebenslang setze ich mich dann also mit den Fragen meiner christlichen Berufung auseinander, die die Fragen meines Lebens sind: Was bedeutet Christsein, also leben im Sinne Jesu, für mich? Wie lebe ich mein christliches Zeugnis in dieser Welt? Was kann ich – zwischenmenschlich, politisch, wirtschaftlich – verantworten, was nicht? Was ruft mir mein Gewissen zu?
Christsein im Sinne Jesu heißt dann nicht: schwimmen im Meer der Meinungsmöglichkeiten – es ruft vielmehr nach meinen dezidierten Entscheidungen und Antworten auf die Fragen des Lebens. Am Ende haben ja schließlich alle etwas davon – die Menschenmenge um den Geheilten stellt ja ganz erstaunt fest: “Er hat alles gut gemacht; er macht, dass die Tauben hören und die Stummen sprechen.”
Keine Angst
Manchmal mag dieser Ruf Jesu zu einem Leben in seinem Sinne wie eine allzu große Herausforderung daherkommen. Lassen wir uns nicht abschrecken. Schon der Prophet Jesaja hat seinem Volk zugerufen – wir hörten es in der Lesung: Sagt den Verzagten: Seid stark, fürchtet euch nicht!
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