Die Vorstellung von Liebe steht der Liebe im Weg
Zum 5. Sonntag der Osterzeit – Lesejahr C
Liebe ist…
Wer kennt nicht diese kleinen Zeichnungen oder Aufkleber: “Liebe ist…”, z.B. “…wenn er ihr das Frühstück ans Bett bringt” und ähnliche? Oder: Gemäss Werbung sollen Ausdrucksformen der Liebe besondere Schokoladen oder Blumenarrangements sein. Wer das Fernsehgerät anschaltet, wird täglich etliche Dutzend Male über das Thema “Liebe” stolpern: sei es in den unzähligen Talkshows, sei es in den Fernsehfilmen oder irgendwelchen Sendungen zur Partnervermittlung. Dabei geht’s stets darum, ob und dass sie ihn findet und bekommt, geht es um die ersten Beziehungen irgendwelcher Teenies oder die Romanzen der Alten.
Auf all diese Aufzählungen und Beispiele, die das Thema “Liebe” bemühen, mag jeder und jede sehr unterschiedlich reagieren. Die eine mag finden, da sei so viel dummes Zeug dabei, und dem nächsten wird vielleicht ganz wohlig ums Herz. Jeder von uns reagiert beim Stichwort “Liebe”, wie es uns unsere Umwelt vermittelt, auf seine ganz persönliche Art und Weise. Und das ist gut so.
Der Wunsch, in zwischenmenschlichen Beziehungen Nähe und Geborgenheit jeglicher Art zu finden, ist ureigenste Ausdrucksform unseres Lebens, den die Medien halt oftmals auf unerträgliche Art verzerren. Und doch muss in diesem Lebensvollzug etwas stecken, dass so wie kaum etwas anderes in unserer Welt anrührt und die Phantasie beflügelt.
Nicht zu definieren
Sicher ist eines die Unfassbarkeit, die Tatsache, dass echte Liebe unserem Zugriff völlig entzogen ist. Sie ist nicht beherrschbar, sie ist nicht herstellbar. Der Mensch kommt zum Mond und durchbricht den Schall, aber die Liebe eines Anderen ist nicht zu produzieren. Sie ist auch nicht erzwingbar, gleichwenn es viele Menschen – vor allem Männer – gibt, die das nicht begreifen. Gegenüber der Liebe herrscht die völlige Kapitulation. Es gilt, was an einem Bauzaun an der Brache Hofwiesen zwischen Bucheggplatz und Wehntalerstrasse steht: “Die Vorstellung von Liebe steht der Liebe im Weg.” Dass das hier und da die Menschen unruhig macht, ist ja irgendwie fast verständlich.
Aber wenn wir das Fernsehgerät abschalten und die unzähligen Illustrierten zur Seite legen, wenn wir es schaffen, uns die Werbung aus dem Kopf zu schlagen, bekommt der Begriff der Liebe noch ein ganz anderes Gesicht.
Was ist nun Liebe?
Liebe als zwischenmenschliche Zuneigung geschieht in unserem Leben zu so vielen Gelegenheiten. Wer sich anderen Menschen zuwendet in einer Art der Fürsorge und Hilfsbereitschaft, welche den anderen ganz und gar im Blick hat, wird vielleicht aus der Angst davor, in Kitschigkeit abzugleiten, nicht von Liebe sprechen wollen. Aber warum nicht?
Eine Fürsorge, die nur auf Distanz vollzogen wird, löst sich bald einmal in nichts auf. Auch wenn eine gute Ausgewogenheit von Nähe und Distanz für unsere Beziehungen wichtig ist, muss ich dennoch eine Offenheit für mein Gegenüber spüren lassen, sonst läuft zwischenmenschlich mal gar nichts mehr.
Und dabei kennt sowohl die Liebe zu einem Partner wie die fürsorgliche Beziehung zu anderen Menschen sehr wohl ihre Durststrecken und Tiefpunkte. Das sind dann solche Momente, in denen zwei Menschen sich nicht mehr viel zu sagen haben, oder jener im fürsorgenden Beruf nur noch einen Job macht.
Und genau zu diesen Momenten kommt’s drauf an. Jetzt muss Liebe sich bewähren. Das sind doch jene Momente, zu denen in Hochzeitsansprachen sicher schon vorgängig viel Mut gewünscht wird; das sind die Zeiten, die Supervisoren für Berufstätige als Ausgebranntsein bezeichnen.
Gottes Liebe ist…
Liebe in welcher Form auch immer kennt viele Gesichter, kennt nicht nur eitle Freude, auch den tiefen Schmerz.
Die Verkündigung der Heilsbotschaft Gottes meint all dies mit, wenn sie von der Liebe spricht. Und das tut sie so oft, dass uns dieses Wort manchmal geradezu widerstrebt, weil wir alle – vor allem solche Menschen, die der Kirche kritisch gegenüber stehen – doch Situationen nennen können, in denen aus der Frohbotschaft die Drohbotschaft gemacht wurde, die dann kein Zeugnis der Liebe Gottes mehr ist.
Wie oft wird auch in der Kirche, in Kreisen, in Gruppen von der allumfassenden Liebe Gottes gesprochen. Doch wenn man genau hinsieht, stellt sich oftmals heraus, dass jene, die von dieser Zuneigung Gottes reden, sie sehr wohl in Grenzen zu sehen wünschen. Wenn Gottes Liebe grenzenlos sein soll, wie können wir Menschen dann sagen wollen, wer gottgeliebt ist und wer nicht? Doch manche scheuen sich nicht, Gott nach Kräften ins Handwerk pfuschen zu wollen.
Ballastfrei lieben
Wenn wir von der Liebe Gottes sprechen, kommen wir oftmals nicht umhin, diesen Ausdruck von einem Ballast zu befreien, der auf ihm liegt gleichwie die Kitschigkeit auf so manchem Medienwerk.
Das heutige Evangelium spricht da eine deutliche Sprache: Jesus legt seinen Jüngern das Liebesgebot ans Herz als sein Vermächtnis. Es soll ein Abbild der Liebe Gottes zu den Menschen. Was dieses Gebot bedeutet, macht die Situation deutlich. Diese lädt nicht unbedingt zu grosser Romantik ein: Jesus sitzt mit seinem Jüngern zusammen zum Mahl. Und der Jünger, der ihn verraten soll und dem Tod ausliefern will, geht gerade seinem Tun nach. Mitten in diese lebensgefährliche Situation hinein spricht Jesus von der Liebe und beauftragt jene, die ihm folgen wollen, einander zu lieben. Von dieser Liebe der Jünger wird Judas, der Verräter, nicht ausgenommen.
Die Hörerschaft des Johannes-Evangeliums muss sehr zusammengezuckt sein, waren doch auch sie in einem Umfeld von Bedrohung und Verfolgung. Und inmitten des Terrors sollten sie die Liebe nicht nur untereinander, sondern auch zu den Feinden probieren.
Dabei ist klar: Für oberflächliche Gefühlsduselei ist da kein Platz. Wer hier mit der Liebe ernst macht, muss wissen, was er tut. Wer mitten in der Bedrängnis an die Liebe Gottes denkt, ist überzeugt vom Angebot des Heils, wie sie die Frohbotschaft für die Jünger und schliesslich auch für uns ist. Wer das Liebesgebot Jesu Christi als das Zeugnis für die Heilsbotschaft in die Tat umsetzen will, kann nicht mehr sortieren nach liebenswürdig und liebensunwürdig. Das sollte allen bewusst sein und zur Vorsicht mahnen, die ständig zur Nächstenliebe rufen, aber sich vorher genau aussuchen, wer dieser Nächste ist.
Lieben durch dick und dünn
Die Gemeinden, an die der Evangelist sein Schreiben richtet, lebten in einer Bedrohung, die wir heute nicht mehr kennen. Und doch sehen auch in unseren Gemeinden immer wieder Menschen solche andere, von denen sie sicher sind, dass sie dem Volke Gottes anscheinend Schaden zufügen, dass sie daher nichts dort zu suchen haben, nicht dazu gehören sollen. Wie aber soll “der neue Himmel und die neue Erde”, von denen Johannes in der Offenbarung schreibt, entstehen, wenn sich ständig alte Gewohnheiten und Fehler wiederholen?
Wenn Gott tatsächlich in unserer Mitte wohnen soll, dann gilt das Liebesgebot ohne Schnörkel und Kitsch auch für uns, dann können wir nicht mehr unterscheiden in jene, die dazu gehören und jene, die draussen bleiben müssen.
Wenn Gott tatsächlich in unserer Mitte wohnen soll, dann können wir uns ihm nicht mehr entziehen, dann müssen wir ihm Einlass gewähren, und mit ihm allen, die ihm folgen wollen.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!