Der Mann aus Samarien – eine Provokation
Zum 15. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr C
Da stimmt was nicht
Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst. – Das berühmte Doppelgebot der Gottes- und der Menschenliebe kennen nicht nur Christinnen und Christen für sich, es ist vielmehr so etwas wie ein überall bekanntes Traditionsgut, mit dem die Nachfolgegemeinschaft Jesu identifiziert wird: Es ist eines unserer Markenzeichen. Das sind Worte, die einfahren – vor allem, wenn man mit ihnen Ernst macht. Wenn ich darauf setze, dass sich meine Gottesbeziehung in meinen Alltagsbeziehungen widerspiegelt, dann sind wir durch Lukas wahrlich herausgefordert. Warum? – Schauen wir auf ein paar Momente unserer heutigen Zeit: Wenn ein politischer Amtsinhaber am Tag seiner Inauguration mit der Hand auf der Bibel schwört und kurz darauf schon klarmacht, dass ihn Minderheiten, Unterdrückte, Verfolgte in seinem eigenen Land und weltweit in keiner Weise interessieren, dann muss er sich schon fragen lassen: Was hast du verstanden von den Worten des Evangelisten Lukas? Und da das Gesetz der Gottesliebe und der Nächstenliebe wohl getrennt voneinander aber auch in der Torah vorkommen, darf man fragen, was sich ein politischer Führer denkt und was er fühlt, wenn er am Sabbat in der jüdischen Synagoge diese Zitate des Lukas in ihrem Originalkontext zu Ohren bekommt und sich am Tag danach anschickt, die Nachbarvölker auszulöschen. – Wenn wir durch das Weltgeschehen schauen, werden wir leicht noch viel mehr politische Verantwortliche ausmachen können, die sonntags den Worten ihrer Prediger zu Gottes- und Nächstenliebe lauschen und montags drauf für Hass und Gewalt verantwortlich sind.
Man muss aber gar nicht so ganz weit schauen – ein Blick in den Spiegel offenbart so manche Herausforderung zu Gottes- und Nächstenliebe, mit der wir uns schwertun, wenn wir ehrlich zu uns sind. Gottes- und Nächstenliebe beginnt nicht auf der grossen Weltbühne, sondern vor unserer eigenen Haustür – halt auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho und anderswo.
Der Mann aus Samarien
Das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe ist uns also überliefert in der Geschichte vom Barmherzigen Samariter im Lukasevangelium. An dieser Stelle legt der Evangelist nicht nur dar, was das Liebesgebot meint, er tut dies auch mit einer Provokation, die es in sich hat. Auf die Frage eines Zuhörers, wer denn ein Nächster sein könnte, macht Jesus ihm klar: Es ist ein solcher Mensch, von dem du es zuletzt ahnen würdest, – ein solcher Mensch, von dem du es am wenigsten gern hättest. Für einen Mann aus Nordjudäa, aus Samarien, findet diese no-go-Begegnung also statt mit einem Menschen aus dem Süden des Reiches. Diese zwei finden zueinander, weil der Helfer gegenüber dem Opfer jegliche trennenden Kategorien überwindet und einfach nur den Menschen, das Geschöpf Gottes, das Opfer sieht. Der Mann aus Samarien legt politische und kulturelle Vorurteile beiseite und handelt einfach. Er macht auch kein grosses Geschrei darum, postet seine Heldentat weder auf Insta noch auf Facebook, sondern sorgt schlicht und einfach dafür, dass dem Anderen geholfen wird. Jenem, der von denen liegengelassen wurde, die sich sonst ihrer Rechtgläubigkeit und Anständigkeit zu rühmen nicht müde werden. Wahrscheinlich würde der Mann aus Samarien heute in den ´richtigen´ Medien als ´Gutmensch´ mindestens belächelt, wahrscheinlich aber eher verhöhnt werden.
Eine Provokation
Wir hören dieses Evangelium in einer Zeit, in der politische Verantwortliche rücksichtslos bereit sind, für ihre Grossmachtsphantasien das Wohl fremder Völker zu opfern und damit für lange Zeit Frieden und Gerechtigkeit weltweit vernichtend zu treffen. Es ist das Gegenteil von dem, wofür Jesus den Mann aus Samarien als Beispiel vorführt. Wir hören diese Worte von Gottes- und Menschenliebe in einer Zeit, in der uns fast täglich Berichte von religiös oder kulturell motivierten Hasstaten ereilen. Der Mann aus Samarien hat seine Vorurteile in seine Satteltaschen gepackt und dann die Ärmel hochgekrempelt. Wir hören dieses Evangelium in einer Zeit, die voll ist von Erfahrungen von Menschen, die das leise Sterben auf den Fluchtrouten aus Kriegs- und Notstandsgebieten dieser Erde mitangesehen haben. Der Mann aus Samarien hat da geholfen, wo andere weggeschaut haben. Wir erleben in unserer Zeit, wie Minderheiten aller Art wieder diskriminiert werden können und der laute Aufschrei dazu immer leiser wird. Der Mann aus Samarien gehörte im Süden Judäas selbst zu einer Minderheit, aber das war ihm egal.
Der Mann aus Samarien fordert uns heraus.
Verantwortung hat jede/r
Aber: Was geht uns all das an, wir sind keine Politikerinnen und Politiker? Nun, das war der Mann aus Samarien auch nicht. Er hat nicht auf der grossen Weltbühne, sondern eben auf einer Landstrasse von Jerusalem nach Jericho konsequent Ernst gemacht mit dem, was Jesus den Menschen als das Doppelgebot von Gottes- und Menschenliebe vorstellt. Die Liste von skeptischen Einwänden, die man gegen sein Verhalten aufführen könnte, ist lang. Aber sie spielten im entscheidenden Moment keine Rolle. So wie er kann das jede und jeder. Für uns alle gilt, was Mose seinem Volk zugerufen hat: Das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten. Die Möglichkeiten liegen auch bei uns – bildlich – auf der Strasse: in unseren eigenen Kreisen, an unseren Arbeitsplätzen, und eben auch an den vielen Stellen, wo keiner so genau hinschaut. Wer so hinsieht und schliesslich handelt wie der Mann aus Samarien, mag sich dann vielleicht das Etikett ´Gutmensch´ einfangen. Aber naja, so ist das halt, wenn man Ernst macht mit dem Aufruf der Frohbotschaft und Gott und die Menschen liebt.




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