Dauerbrenner: Umbruch und Neuanfang
Zum 7. Sonntag der Osterzeit – Lesejahr B
Was nun?
In diesen Tagen vor Pfingsten begleitet uns in der Verkündigung eine Grundsatzfrage des Glaubens: Wie kann hier in dieser Welt und heute in unserer Zeit Glaube nachhaltig verkündet werden?
Schauen wir uns das genauer an: Da haben sich Menschen zusammengefunden, weil sie jemanden erlebt haben, für den sie brennen. Jesu Reden und sein Handeln sind bei den zwölf Aposteln eingefahren. Sie folgen ihm – wir kennen ihre verschiedenen Berufungsgeschichten. Ihnen vertraut Jesus in besonderer Weise und ihnen vertraut er auch noch so manche Lehre mehr an, die er anderswo nicht öffentlich macht. – Nach Jesu Tod und Auferstehung ist der Herr und Meister aber nicht mehr da. – Und nun?
Damit gerät die Nachfolgegemeinschaft Jesu in eine erste Krise. Dazu müssen sich die Freunde Jesu noch mit einem ganz massiven internen Problem beschäftigen: Der Zwölferkreis ist erschüttert worden von einem Verrat, der das ganze Projekt in ärgste Bedrängnis bringt. Eines aber ist über alle Massen klar, so wird es in der heutigen Lesung deutlich: Der Zwölferkreis muss trotz Krise in seinen Ursprüngen weiter bestehen bleiben – muss so daherkommen, wie Jesus es begonnen hat und darf nicht verändert werden. Das gilt auch, obwohl es bereits viel mehr Menschen gibt, die sich von Jesus haben begeistern lassen. – Wir hörten, es seien schon gut einhundertzwanzig Personen versammelt gewesen.
So wie immer?
So kommt es also zur Nachwahl des Apostels Matthias anstelle des Judas. Interessant dabei die Profilansprüche, die vor der Wahl aufgestellt werden: Der Nachgewählte muss dieselben Begegnungen erlebt und vor allem dieselben Erfahrungen mit dem auferstandenen Jesus gemacht haben wie alle anderen Apostel auch. Er muss als Nachgewählter den ursprünglichen Zwölf möglichst ähnlich sein. Wir hörten: “Es ist also nötig, dass einer von den Männern, die mit uns die ganze Zeit zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, einer von diesen muss nun zusammen mit uns Zeuge seiner Auferstehung sein.” Apostel kann also nur sein, wer Zeuge der Auferstehung ist. Die Angst, dass das Projekt Jesu zu Ende sein könnte, wenn der Zwölferkreis seine anfängliche Gestalt und damit die Autorität des Ursprungs verliert, ist deutlich spürbar. Den Heiligen Geist, den Jesus ihnen “als Beistand verheißen hat und der sie in die volle Wahrheit einführen würde”, haben sie noch nicht nachhaltig erfahren. In dem Moment, von dem die heutige Lesung erzählt, waren sich die Apostel sicher, dass es zuallererst einmal auf ihr richtiges Entscheiden und Handeln ankommt.
Stützpfeiler der Kirche: Zeugnis und Zeuge
An Pfingsten vollendet sich dann, was Jesus im Hohepriesterlichen Gebet programmatisch kundgetan hat, was wir im Evangelium hörten: “Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt.” Das aber braucht das Vertrauen und den unerschütterlichen Glauben nicht nur in diesen irdischen Jesus, den die Apostel und alle anderen Jüngerinnen und Jünger erlebt haben, sondern auch in seine Verheißungen, die über Jesu irdisches Wirken weit hinaus weisen. Das ist nicht einfach – wir spüren das in den verschiedenen nachösterlichen Begebenheiten, von denen wir in den letzten Wochen hörten. Der irdische Jesus, schnell einmal verkannt als simpler Heilsbringer oder gar als Revolutionär, ist der Eine – der erhöhte nachösterliche Christus des Glaubens hingegen war eine Herausforderung für Glaube und Vertrauen, wie es sie bis dahin noch nie gegeben hatte. Dieses Ringen dauert an bis in unsere Zeit.
Wir haben Jesus mit seinen Reden und seinem Handeln nie erlebt. Für uns hier und heute bleibt es allein, zu glauben, weil wir den Zeuginnen und Zeugen des Glaubens der Vergangenheit vertrauen und weil wir darauf setzen, dass ihr Zeugnis wahr ist. Wer immer uns heute im Dienst am Evangelium begegnet, ist kein direkter Zeuge oder Zeugin der Auferstehung. Wer heute im Dienst am Evangelium steht, kann das nur, weil er oder sie andere überzeugt hat, dass sein oder ihr Zeugnis wahr ist.
Herausfordern: Leben aus dem Glauben
Im Evangelium hörten wir den Herrn sagen: “Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir!” Die Erfahrung, dass verschiedene Haltungen, Meinungen und Interessen auf diese Glaubensgemeinschaft einwirken würden, gab es schon im Apostelkreis selbst: Judas, der »Sohn des Verderbens«, ist das beste Beispiel. Da in den Evangelien nie von Auseinandersetzungen mit Jesus und den anderen zu hören ist, können wir davon ausgehen, dass die Haltung des Judas irgendwie schon loyal war. Auf der anderen Seite wollte er aber auch ein loyaler Bürger des römischen Reiches sein. Statt sich auf Diskussionen im Kreis der zwölf Apostel einzulassen, geht er den falschen Schritt und macht einen verhängnisvollen Deal mit der Staatsmacht. So nimmt Jesu Schicksal seinen Lauf. Als Judas begreift, was er getan hat, ist es zu spät.
Das Gebet Jesu um die Einheit der Nachfolgegemeinschaft hat also durchaus seine Berechtigung. Die Kirche ist und war damals wie heute stets Spannungen und Zerreißproben ausgesetzt. Da Haltungen und Gesinnungen nun einmal keine allgemeingültigen Formen kennen, und sich selten klar und deutlich sagen lässt, ob jemand doch nicht mehr im Geiste Jesu spricht, braucht es vor allem eine große Offenheit füreinander und die Bereitschaft, einander zuzugestehen, dass es der andere schon gut und richtig meint. Im 1. Johannesbrief tönt das etwa so: “Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.” Schon seit Beginn der Kirche haben Versammlungen – Konzilien – immer wieder versucht zu definieren, wer drinnen ist und wer draußen ist. Und damals wie heute spielten und spielen natürlich auch weltpolitische und kirchenpolitische Interessen derer, die mitdiskutieren und mitbestimmen, wichtige Rollen. Allein um unseren Gott und seine Botschaft ging es in der Kirche nie.
Geht mich nix an? – Oh doch!
Wenn wir all diese Entwicklungen und Momente in der Kirchengeschichte und in der heutigen Kirche wahrnehmen, könnte man schnell einmal auf den Gedanke kommen: Das ist Kirchengeschichte oder Kirchenpolitik – damit habe ich als Einzelperson nichts zu tun. Ein sehr gefährlicher Trugschluss. Die Nachfolgegemeinschaft Jesu, die Kirche, lebt nämlich nicht zuerst aus Konzilien oder kirchlichen Beschlüssen. Sie lebt auch nicht zuerst aus ihrer Geschichte. Die Kirche Gottes lebt überall dort, “wo zwei oder drei im Namen Jesu versammelt sind”. Und überall dort, wo jemand in eine Gemeinschaft von Glaubenden hineintritt, müssen solche Fragen vorangehen: Begegne ich dieser Gemeinschaft mit Liebe und Wohlwollen? Will ich da zuerst der Sache Jesu dienen oder eher meinen eigenen Interessen? Freue ich mich darauf, mit allen anderen meinen Glauben teilen und leben zu können?
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